Odessa, mon amour
Rezensionen , Romane / 16. Februar 2023

Es ist Sommer in der Stadt, und Odessa, die Schönheit am Schwarzen Meer, verspricht ein besonderes Lebensgefühl. Davon erzählt Irina Kilimnik im Roman „Sommer in Odessa“. Die Ich-Erzählerin Olga lebt mit Mutter, Tanten und Cousinen in einer zusammengestückelten Wohnung, typisch für das alte Odessa. Wo‘s lang geht, bestimmt der Großvater, der Töchter und Enkelinnen schikaniert. Die schönste Stadt der Welt Olga hat schon längst die Nase voll von seiner herrischen Art und der Ergebenheit der Frauen. Ihr Medizinstudium, das sie auf Wunsch der Familie begonnen hat, kotzt sie an. Wäre da nicht der indische Freund Radj hätte sie es schon längst an den Nagel gehängt. Aber da ist auch noch die „beste Freundin“ Masha, charmant und flatterhaft, die Olga immer wieder mit neuen Plänen und neuen Männern überrascht. Und natürlich Odessa mit seinen Stränden und der quirligen Altstadt. „Die schönst Stadt der Welt“, sagt Mascha plötzlich. „Ich weiß nicht, ob ich hier weggehen soll, die Vorstellung macht mich irre.“ Alte Liebe Kurz flammt die alte Liebe wieder auf, als Sergej, der Traummann aus Kindertagen, wieder zurück aus Deutschland ist. Der begabte Pianist sähe Olga am liebsten als Musikerin, was ihr Selbstverständnis erschüttert.  Auch zu Hause geht es drunter und drüber….

Annie Ernaux und ich
Rezensionen , Romane / 11. Februar 2023

Erst der Literaturnobelpreis hat mich auf Annie Ernaux aufmerksam gemacht. Ich muss gestehen, ich hatte bis dahin noch nichts von ihr gelesen. Dabei hatte ich Französisch studiert und blieb auch an französischer Literatur interessiert. Aber nun habe ich „Die Jahre“ der mittlerweile 83-jährigen Autorin gelesen. Was für ein Buch! Es katapultierte mich unmittelbar hinein in mein eigenes Erleben, das dem von Ernaux nicht unähnlich ist. So vieles teilen wir, auch wenn ihre Erinnerungen französisch gefärbt sind. Ein Buch der Veränderungen „Das Buch soll nicht das sein, was man üblicherweise unter Erinnerungsarbeit versteht, bei der es darum geht, ein Leben nachzuerzählen und sich zu erklären“, schreibt Annie Ernaux: „Sie schaut nur in sich hinein, um dort die Welt, das Gedächtnis und die Träume der Vergangenheit zu finden, um zu erfassen, wie sich Ideen, Glaubenssätze und Gefühle, wie sich die Menschen und das Subjekt verändert haben.“ Freizeitgesellschaft Und wie sich alles seit der Nachkriegszeit verändert hat! Die rigiden Moralvorstellungen sind ebenso verschwunden wie die Kriegsruinen, hinweg gefegt vom Wirtschaftswunder und der 68-er-Revolte. Wir hatten das Gefühl, es ginge uns immer besser. „Man rief die Freizeitgesellschaft aus“, heißt es bei Annie Ernaux. Reisen wurde demokratisiert, die Frauen emanzipierten sich. Überforderte Frauen Doch mit…

Die Rebellin und der Bauernmaler
Allgemein , Rezensionen , Romane / 9. Februar 2023

„Wenn halt nur mehr Leute so wie wir zwei regelmäßig die Augsburger Allgemeine lesen würden, dann würde weniger Schmarrn in die Welt hinausposaunt werden.“ Man schreibt das Jahr 1886 im Werdenfelser Land, und die „Huberin“ ist wohl die einzige Zeitungsleserin im kleinen Dorf Loisbichl. Es sei denn, sie kann die junge Witwe Vroni auf dem abgelegenen Graseggerhof mit der nützlichen Lektüre anstecken. Bei der Heumahd hat die junge Frau schließlich schon unerwartete Stärke gezeigt. Allein gegen ein Dorf Susanne Betz‘ gleichnamiger Roman konzentriert sich auf eine trotzige junge Frau, die im Kampf mit den Naturgewalten und überkommenen Vorstellungen tumber Zeitgenossen einen einsamen Hof führen will. Unerwarteten Rückhalt bekommt Vroni dabei von der herrschsüchtigen und reichen Huberin, die das Potenzial der jungen Rebellin sieht. Ganz anders als der Dorfpfarrer, für den die Frauenwirtschaft auf dem Graseggerhof fast schon sündig ist. Gäbe es doch im Ort genügend heiratswillige junge Männer. Auch die hat sich Vroni mit ihrer abwehrenden Haltung zu Feinden gemacht. Schlimme Erfahrungen Doch die junge Witwe leidet immer noch unter den schlimmen Ehe-Erfahrungen mit dem deutlich älteren Bauern. Die Narben der Schläge verheilen nur langsam. Trost findet sie beim „Rosl“, der anhänglichen Stieftochter mit dem Down-Syndrom. Dass das Rosl im…

Wespennest Crater Lake
Kinderbücher , Rezensionen / 7. Februar 2023

Eigentlich müssten sich Lance und seine Freunde freuen – auf die Freizeit am Crater Lake. Aber den Ich-Erzähler plagen düstere Vorahnungen, und dass der selbstgefällige Trent seinen Kumpel Chets schon wieder runtermacht, verdrießt ihn noch mehr.  Das ist freilich nichts gegen das, was die Schülerinnen und Schüler im sogenannten Freizeitzentrum am Crater Lake erwartet… Alarmierende Anzeichen Dabei hätte der blutüberströmte Kerl, der ihnen kurz vor dem Ziel begegnet ist, schon genug Argwohn erregen können. Und dann der merkwürdige Empfang durch den Camp-Chef. Lance, den die verhasste Lehrerin Miss Hoche in ein Einzelzimmer verbannt hat, ist alarmiert. Schüler mit Wespenaugen Als er sich mit seinen Freunden treffen will, stößt er auf einen Trupp schlafwandelnder Mitschüler, die allesamt Wespen-Augen haben. Und es werden immer mehr. Schnell ist der Clique klar, dass dieses Wespennest eine tödliche Gefahr birgt. Und Camp-Leiter und Lehrerin sind nicht nur mit von der Partie, sondern die wohl gefährlichsten Gegner. Verwandlung im Schlaf Das Bedrohlichste scheint der Schlaf. Denn da geschieht die Verwandlung.  Lance ahnt, dass sie nur eine Chance haben: niemals einzuschlafen. Und dann müssen sie den ungleichen Kampf aufnehmen – wie David gegen Goliath. Nur so können sie sich und ihre Mitschüler retten. Dass sich auch Trent…

Stadtwanderer und Sterngengucker
Reisebücher , Rezensionen , Romane / 7. Februar 2023

Lonely Planet hat‘s vorgemacht, jetzt verkündet auch Marco Polo „Die besten Ziele für 2023“. Marco-Polo-Autoren haben ihre Favoriten genannt, eine Jury hat daraus 40 Ziele in den Kategorien „Noch unentdeckt“, „Neuer Glanz“, „2023 erleben“ und „Nachhaltig“ destilliert. Wohin also geht bei Marco Polo die Reise in diesem Jahr? Hauptsache nachhaltig In jedem Fall auch wieder nach Deutschland und da – im Sinne der Nachhaltigkeit – zum E-Biken etwa auf der grenzüberschreitenden Route Verte. Zum Wandern nicht nur in den Bayerischen Wald, sondern auch in die Städte, z.B. zum Zollvereinsteig in Essen. Oder auch in eines der Bergsteigerdörfer, die es inzwischen auch in der Schweiz gibt. Und zum Wassersport geht‘s ins eher noch unentdeckte Fränkische Seenland. Entdecken empfohlen Zu den Entdeckungen des Jahres zählen bei Marco Polo außerdem das belgische Gent, wo sich mitten im Mittelalter-Ambiente eine Graffiti-Gasse öffnet. Aber auch Länder wie Kirgistan, „perfekt für Outdoor-Freaks“, Panama – nicht nur wegen des Kanals, oder das wildromantische Albanien. Was wieder glänzt Neuen Glanz entdeckten die Autoren u.a. in Singapur, das sich anschickt, „die grünste Megacity der Welt“ zu werden. Oder in Luxemburg, das „jetzt auch Canyon-Trails und stylisch gepimpte Hochöfen im Programm“ hat. „In der Fremde zu Hause ankommen“ ist das…

Ein Junge am Scheideweg
Rezensionen , Romane / 6. Februar 2023

Dass der Vorarlberger Michael Köhlmeier ein großartiger Autor ist, beweist er auch mit seinem neuen Roman Frankie. Im Mittelpunkt steht der 14-jährige Ich-Erzähler Frank, der in einer fast symbiotischen Gemeinschaft mit seiner Mutter in Wien lebt. Seinen Großvater lernt er mit Verspätung kennen, weil der über 18 Jahre hinter Gittern gesessen hat. Faszination des Bösen Der eher introvertierte Junge ist zugleich abgestoßen und fasziniert von dem alten Mann, der wirkt, als könne ihn nichts umhauen. Das abwertende Frankie nervt ihn zwar, aber mehr noch interessiert ihn, welche Geheimnisse der Großvater, der sich die Anrede Opa verbietet, hinter seinem schroffen Wesen verbirgt. Es ist die Anziehungskraft des Bösen, die Köhlmeier immer wieder thematisiert – auch in diesem Roman. Viele Freiheiten Der weitgehend vaterlos aufgewachsene Junge kommt eigentlich gut mit seinem Leben zurecht. Der Beruf seiner Mutter, die in der Volksoper als Schneiderin arbeitet, lässt ihm viele Freiheiten. Frank fühlt sich als der Mann im Haus – bis der autoritäre Großvater diese Rolle beansprucht. Die furchtsame Mutter interessiert den Alten nicht. Aber den Enkel will er nach seiner Vorstellung  formen. Die Waffe als Versuchung Frank erliegt der Versuchung des Abenteuers, die der Großvater verkörpert. Und es ist ja auch ein Abenteuer, was…

Abstecher in die Automobilgeschichte
Reisebücher , Rezensionen / 3. Februar 2023

„Die Automobilbranche, der Konjunkturmotor der deutschen Wirtschaft, muss sich immer wieder neu erfinden“, heißt es in dem Bildband  „Grand Tour“. Ein Satz, der heute genauso stimmt wie in der Anfangszeit des Automobils oder in Zeiten des Klimawandels mehr denn je. An 33 originelle Ort der Autobilgeschichte entführt nun dieses schön gestaltete Bilder-Buch. Darunter – natürlich – die Berliner Avus, der Nürburgring, die Carrera Panamericana, Autostädte wie Stuttgart, München und Modena, berühmte Pässe wie der Bernina- oder der Furka-Pass aber auch die erst 1989 eröffnet Atlantikstraße. Sechs Frauen auf großer Fahrt Und dann finden sich auf den 157 Seiten auch Orte, die auf den ersten Blick nicht unbedingt mit der Automobilgeschichte in Verbindung gebracht werden: Gmunden in Kärnten etwa, wo der erste Porsche entstand. Das schwäbische Mickhausen nahe Augsburg, wo 1964 erstmals ein ADAC-Bergrennen ausgetragen wurde. Der Freiburger Hausberg Schauinsland, wo schon 1925 die „Internationalen Freiburger Rekordtage“ für Motorräder und Wagen veranstaltet wurden. Oder die 14 000 Kilometer lange Strecke von Straßburg über Paris und Madrid bis Casablanca und zurück über Algier und Marseille, die sechs Frauen 1934 in Aero Roadstern zurücklegten – womit sie Geschichte schrieben – auch Emanzipationsgeschichte. Spannende Hintergründe Automobil- und Lifestyle-Fachmann Axel Nowak kennt sich aus in…

Frauenleben in finsteren Zeiten
Reisebücher , Rezensionen / 3. Februar 2023

„Ich schreibe, um hörbar zu machen, in Sprache zu übersetzen, was gemeinhin nicht gesprochen wird, nicht sprechbar scheint.“ Ulrike Draesner ist Lyrikerin, Romanautorin, Essayistin und Übersetzerin. Auch in ihrem neuen Roman „Die Verwandelten“ überschreitet sie die Grenze zwischen Prosa und Lyrik, zwischen Ländern und Sprachen und versucht, Unbegreifliches in Worte zu kleiden, Unaussprechliches zu skizzieren. Gewalt gegen Frauen Die Verwandelten  sind allesamt Frauen, traumatisiert von Krieg- und Nachkriegserfahrungen.  Ulrike Draesner schreibt von Gewalt gegen Frauen als Mittel zur Unterwerfung und darüber, was diese Gewalt mit den Frauen macht, wie sie sie für immer verwandelt. Als Russland seinen Krieg gegen die Ukraine begann, konnte Draesner, sagte sie in einem Interview, kaum weiterschreiben. „Viel zu gut konnte ich mir vorstellen, welche Arten von Gewalt nun erneut in Gang gesetzt worden waren.“ Interviews und Erinnerungen Das Material zu ihrem oft schwer verdaulichen aber umso beeindruckenderen Roman hat sie über Interviews und Zeitzeugenerzählungen gesammelt und in Fiktion verwandelt. Es geht ihr um „das weibliche Gesicht des Krieges innerhalb der Zivilbevölkerung“. Dabei springt sie zwischen den Zeiten und Perspektiven, was den Lesenden ein hohes Maß an Aufmerksamkeit abverlangt. Um die Frauen von Anfang an einordnen zu können, lohnt sich ein Blick auf das Figurenverzeichnis im…

Schwierige Reise zum Ich
Rezensionen , Romane / 26. Januar 2023

Mit den 1976 erschienenen „Mitteilungen an den Adel“ hat sich Elisabeth Plessen, eigentlich Elisabeth Charlotte Marguerite Auguste Gräfin von Plessen, einen Platz in der deutschen Nachkriegsliteratur gesichert. Auch im Roman „Die Unerwünschte“ (2019) setzt sich die Autorin mit ihrer Herkunft und dem Bedeutungsverlust des Adels auseinander. Nun also ein neues Buch „Die Frau in den Bäumen“. Und wieder hat der Roman autobiographische Züge. Die Ich-Erzählerin Anna darf wohl als das Alter Ego der Autorin gesehen werden. Erzählt wird eine Art Heldenreise der End-Zwanzigerin, die im italienischen Süden lernen muss, sich zu emanzipieren. Blitzschlag in der Idylle Anna ist mit ihrem doppelt so alten Freund – ein Vaterersatz? – unterwegs. Der literarisch gebildete Journalist will ihr sein Italien auf Goethes Spuren zeigen. Die sich im Ferienhaus einnistende Apathie wird durch die Nachricht vom Tod des Vaters und einen darauffolgenden Blitzeinschlag regelrecht zerschmettert. Das Paar sucht Schutz bei einem befreundeten schwulen Musikliebhaber, der sich mit einem Buch über Beethoven abplagt. In seinem gastfreundlichen Haus lernt Anna den jungen und schönen Matteo kennen, Kameramann mit dem Ehrgeiz zu Größerem. Auch Matteo arbeitet an einem ambitionierten Projekt, einem Film über Che Guevara. Unklare Zukunft Anna folgt dem Matteo nach Rom und später auf eine…

Zug zum Schnee
Reisebücher , Rezensionen / 23. Januar 2023

Skitouren Raus aus dem Zug, rein ins Vergnügen – das ist das Motto von Angelika Feiner, Michael Vitzthum sowie Barbara Schmid und Sven Schmid. Und weil sie andere von ihrer Idee, mit Bahn und Bus zur Skitour zu fahren, überzeugen wollen, haben sie gleich ein Buch über ihre Erfahrungen geschrieben: „Natürlich mit Öffis“ stellt Ski-Safaris und Rundtouren (bayerisch Reibn) vor, die auch dabei helfen den CO²-Fußabdruck zu verkleinern. Naturschutz beachten Wichtig vor dem Start ist natürlich eine gute Planung, und da empfehlen die Autoren u.a. die Bahn-Apps und Skitouren-Tipps des Alpenvereins. Und sie geben Tipps für die richtige Bekleidung, die Verpflegung und die Tourenplanung. Wobei beim Unterwegssein der Naturschutz wichtig ist. Deshalb entsprechen die vorgestellten Skitouren den Empfehlungen des DAV-Projekts „Skibergsteigen umweltfreundlich“. Für Anfänger und Fortgeschrittene Natürlich sind nicht alle Skitouren für jedermann oder jede Frau geeignet. Für Skitouren-Anfänger haben die Autoren acht Beispiele zusammengetragen, darunter die „Kaffee-und-Kuchen-Safari zum Brauneck“ oder die „Firstalm-Safari“ vom Schliersee zum Spitzingsee. Fortgeschrittene, die mindestens die Spitzkehrtechnik beim Aufstieg gut beherrschen und eine gute Kondition haben, haben die Qual der Wahl unter 21 Safaris und Rundtouren. Die klingen hin und wieder ziemlich abenteuerlich wie die „Höllisch grüne Rundfahrt“ von Biberwier nach Ehrwald, „Teuflisch gute Ammergauer“…