Der Wolf im Wald
Kinderbücher , Rezensionen / 5. Mai 2023

Saša Stanišić kam mit seinen Eltern aus Bosnien nach Deutschland und hat als Autor schon einige Preise abgeräumt. Der Vater eines Sohnes hat auch zwei Kinderbücher geschrieben. „Wolf“ ist sein erster Kinderroman. Es geht um ein Ferienlager im Wald, um Ausgrenzung, Null Bock, Mut und Mobbing – und um einen Wolf. Außenseiter und Opfer Kemi – den Namen des Ich-Erzählers erfährt man ganz zum Schluss – wäre eigentlich der „perfekte Kandidat zum Andersig gemacht zu werden“, denn er ist anders. Einer der gern liest, der viel weiß, aber Null Bock auf Spiel und Sport hat. Mit seiner alleinerziehenden Mutter dagegen führt er gern Gespräche über Erwachsenen-Themen. „Meine Reputation ist die von einem, der sich gern beschwert und der gern keine Lust auf nichts hat“, sagt er von sich selbst. Dass er mit der Einstellung in der Klasse zwar Außenseiter aber nicht Opfer ist, hat er Jörg zu verdanken. Der ist anders als Kemi kein Nörgler, sondern ein freundlicher Typ, aber mit den abstehenden Ohren, dem altmodischen Outfit und ebensolchen Sprüchen einfach uncool. Kein Mumm gegen Mobbing Es kommt, wie es kommen musste. Kemi und Jörg teilen sich im Ferienlager ein Zimmer mit Stockbett, und Kemi beginnt zu ahnen, wie schwer…

Afghanistan extrem
Reisebücher , Rezensionen / 2. Mai 2023

„Wir waren glücklich hier“, ist der Titel von Christoph Reuters Roadtrip durch Afghanistan. „Wir waren glücklich hier“, sagte dem Reporter ein junger, gut ausgebildeter Afghane, bevor er zusammen mit anderen sein Land in einer Frachtmaschine verläßt. Konnte man in diesem seit einem halben Jahrhundert vom Krieg heimgesuchten Land glücklich sein? Und was für eine Zukunft erwartet die, die bleiben? Extreme Erlebnisse Reuter nutzt die kurze Zeitspanne während der Machtübernahme der Taliban, um Afghanistan zu bereisen. Während die Afghanen aus ihrer Heimat fliehen, reist er ein und erlebt „selbstlose Güte und Großzügigkeit, unglaublichen Mut, ebenso rabiate Gier, Verschwörungsglauben, Missgunst.“ Ein Wechsel der Extreme wie die Landschaft. Und extrem ist auch, was die Journalisten erleben: Sie werden mit dem Tod bedroht, immer wieder verhaftet und verhört, dann aber auch zum Gastmahl bei hochrangigen Taliban geladen. Fatale Entscheidungen Der Journalist zeigt Verständnis für die Hoffnung der Afghanen, mit den Taliban zu einer sichereren Zukunft zu finden als mit korrupten Marionettenregierungen bisher – auch wenn er selbst nicht daran glaubt. Er hält mit seiner Kritik an der fatalen Entscheidung deutscher Offiziere zur Bombardierung entführter Lastwagen, die vor allem Zivilisten das Leben kostete, ebenso wenig hinter dem Berg wie mit der Kritik an falsch investierten…

Sörensen und die Amokfahrt
Rezensionen , Romane / 2. Mai 2023

Er ist schon ein bisschen unbeholfen, dieser Sörensen. Aber das macht den KHK im fiktiven Städtchen Katenbüll erst so richtig sympathisch. Es menschelt ordentlich in den Krimis von Sven Stricker, der für seinen Krimi „Sörensen hat Angst“ für den Glauser-Preis 2017 nominiert war. Viel um die Ohren Jetzt also: Sörensen sieht Land. Doch bis es soweit ist, dauert es gute 500 Seiten. Denn der schnellste ist der Kriminalhauptkommissar nicht, zumal er sich auch noch um seinen krebskranken Vater kümmern muss. Und dann ist da auch noch die KOKin Jennifer, für die Sörensen schon ein Quäntchen mehr empfindet als Kollegialität. So richtig zusammen kommen die beiden aber trotzdem nicht. Harmlos oder nicht? Denn da kommt was Ungeheures dazwischen – eine Amokfahrt bei einem Stadtfest. Tote, Verletzte, darunter auch Sörensens Vater – und mittendrin der ehemalige Praktikant Malte, der Halter des Wagens. Sörensen mag nicht glauben, dass der harmlose junge Mann zum Amokfahrer geworden war. Und was ist mit der jungen Frau, Swantje, mit der er unterwegs war? Sehnsucht nach Leben Sven Stricker lässt die 21-Jährige, die vom Leben bisher nicht gerade verwöhnt wurde, in Tagebucheinträgen zu Wort kommen. Hass war bei ihr schon da – auf diejenigen, die nicht so hinterwäldlerisch…

Mütter ohne Lobby
Rezensionen , Romane / 30. April 2023

Jessame Chan regt mit ihrem nur leicht dystopischen Roman „Institut für gute Mütter“ zum Nachdenken an – und zu Diskussionen. Denn die amerikanische Autorin nimmt die aktuellen Debatten um Mutterschaft, Feminismus, Rassismus und staatliche Eingriffe ins Privatleben zum Ausgangspunkt einer ebenso spannenden wie deprimierenden Geschichte. Ein Fehltritt und die Folgen Es war nur ein kurzer Fehltritt, der Frida ihre Tochter und ihr Lebensglück kostet. Die alleinerziehende Mutter hat ihr Baby Harriet im Spielsitz zurückgelassen, um berufliche Unterlagen zu holen. Und weil sie wegen Harriet nächtelang kaum geschlafen hat, ist sie einfach länger weggeblieben als geplant. Zwei Stunden vielleicht. Zu lang, das weiß sie selbst. Doch sie war gestresst, versucht sie der Sozialarbeiterin zu erklären. Die hat wenig Verständnis: „Wenn Sie einfach das Haus verlassen möchten, wann immer Ihnen danach ist, sollten Sie sich einen Hund anschaffen und kein Kind.“ Kein Verständnis für Überforderung Die Frau könnte Fridas Überforderung verstehen, wenn sie nur zuhören würde. Sie könnte verstehen, dass Frida darunter leidet, dass ihr Traummann Gust sie wegen einer Jüngeren verlassen hat. Dass sie Angst davor hat, die rothaarige Rivalin könnte ihr Harriet entfremden. Doch weder die Sozialarbeiterin noch der Psychologe wollen verstehen, dass eine Frau nicht rund um die Uhr…

Lebenslügen
Rezensionen , Romane / 15. April 2023

Martin Suter mag es edel.  Auch in seinem neuen Roman  Melody  öffnet er die Tür zu einem stilvollen Haus, in dem der Eigentümer, einst hohes Tier in Politik und Wirtschaft, als gebrechlicher alter Mann residiert. Umhegt von Butler und Köchin. Doch Dr. Peter Stotz reicht es nicht, dass er sich alles leisten kann; er braucht jemanden, dem er imponieren, mit dem er reden kann. Deshalb engagiert er den angehenden Juristen Tom als eine Art Privatsekretär. Verführerischer Luxus Für Tom, der aus kleinen Verhältnissen stammt, ist es der Eintritt in eine neue Welt, in der Geld keine Rolle spielt und  in der alles käuflich scheint – auch Zuwendung. Verwöhnt mit besten Weinen und feinsten Speisen, gewöhnt sich Tom an das Leben im Luxus. Und zunehmend hegt er auch Sympathie für den einsamen Alten, der ihm von seiner großen Liebe erzählt: Melody. Die verschwundene Liebe Ihr Bild findet sich überall in der Villa, oft mit Blumen geschmückt wie ein Schrein. Dabei ist es Jahrzehnte her, dass sie verschwunden ist, kurz vor der Hochzeit und unter Zurücklassen des Hochzeitskleides. War Melody vor ihrer muslimischen Familie geflohen, die sie wegen der Verbindung mit einem Nicht-Muslimen bedrohte?  Wurde sie gefangen gehalten?  Stotz sucht seine verschwundene…

Urlaub mit Folgen
Rezensionen , Romane / 8. April 2023

Daniel Glattauer nimmt in seinem  neuen Roman „Die spürst du nicht“  die Lesenden mit auf eine Achterbahn der Gefühle und am Ende auch mit zu Menschen, „von denen wir nichts wissen wollen, weil wir sie nicht spüren“. Wie viele Tragödien fängt auch diese Geschichte ganz harmlos an. Zwei befreundete Familien fahren in die Toskana, um Ferien in einer noblen Villa mit Pool zu machen: die Binders und die Strobl-Marineks und ihre drei Kinder. Mit dabei ist auch eine Freundin der ältesten Strobl-Marinek-Tochter, Aayana, ein Flüchtlingsmädchen aus Somalia. Tragödie in der Idylle Alles scheint perfekt, Aayana fällt nicht weiter auf. Die Familien genießen das milde Klima, den Wein, die Urlaubsatmosphäre. Doch die Idylle zersplittert schnell, denn Aayana ertrinkt im Pool. Für die beiden Familien ist der Urlaub vorbei, ihr Leben geht weiter. Aber nichts ist, wie es vorher war. Vor allem die 14-jährige Sophie Luise fühlt sich allein gelassen. Von den Mitschülerinnen gemobbt sucht sie Trost im Internet. Hier lernt sie Pierre kennen, der sie mit seinen Zeichnungen aufmuntert. Über Chats, in denen So-Lu, wie Pierre sie nennt, sein Deutsch verbessert, kommen sie sich näher. Chats und Internet-Kommentare Daniel Glattauer kann das, den speziellen Chat-Sound. Aber auch Twitter-Kommentare, kurze Zeitungsnotizen zu…

Camping mit Wohlfühlfaktor
Reisebücher , Rezensionen / 8. April 2023

Es sind kleine Plätze mit Familienanschluss und große mit Hotelambiente, die Heidi Siefert und Manuela Blisse für diesen Campingführer aus Empfehlungen der Pincamp-Community zusammengestellt haben. So unterschiedlich diese Plätze auch sind, alle eint das Bestreben, den Gästen eine wohlige Auszeit zu bieten. Das kann die Saunalandschaft sein, ein Badeteich oder der See vor der Haustür. Piktogramme und nützliche Infos Die Autorinnen erweisen sich in den Texten als ortskundig und bieten mehr als nur die Beschreibung der einzelnen Plätze. Zum Beispiel Tipps für Wanderungen, Skitouren, Ausflüge oder auch in Extra-Kästchen Hinweise zu Besonderheiten der Gegend wie Infos zum Grünen Band, zu Loipenvergnügen oder zur Zugspitze in Flammen. Über die Piktogramme erkennt man auf den ersten Blick, was die einzelnen Plätze zu bieten haben, und eine Mini-Karte zeigt, welche Ausflüge im nahen Umfeld möglich sind. Luxuriöse Campingwelt Und schon ist man mittendrin in einer eher luxuriösen Camping-Welt, wo Saunen, Dampfbäder und Kneipp-Anwendungen ebenso selbstverständlich sind wie Yoga auf dem SUP, Pilates auf der Wiese oder Floating Fitness. Nicht genug damit, da gibt es Workshops zur Herstellung von Aroma-Öl, Thermalwasser-Pools und Infinity-Skypools, Bungalows mit eigener Sauna, ein Badehaus mit Bibliothek, einen Whirlpool mit Wasserfall oder ein Luxusbaumhaus mit Whirlpool-Badewanne. Es gibt einen Campingplatz…

Matriarchat am See
Rezensionen , Romane / 3. April 2023

„Männer starben bei uns nicht“, heißt es gleich zu Anfang des neuen Romans von Annika Reich. „Männer kamen und gingen“. Doch in diesem Frauenhaushalt, den Reich in „Männer sterben bei uns nicht“ entwirft, kommt und geht kein Mann. Frauen unter sich Die Frauen in dem Anwesen am See, „das vor Pracht, Verheißung und Verhängnis vibrierte wie sonst nur große,destruktive Lieben“, bleiben in diesem weiblichen Kosmos unter sich: Die alle beherrschende Großmutter, die Enkelin Luise, die als Ich-Erzählerin den Ton angibt, ihre schöne aber gefühlsarme Mutter, die Tante und deren Tochter sowie die Haushälterin Justyna. Eigentlich würde auch noch Luises Schwester Leni dazu gehören, aber die ist von einem Tag auf den anderen verschwunden. Eine Tatsache, die Luise so sehr beunruhigt, dass sie in zwei toten Frauen, die im See angeschwemmt werden, Leni zu erkennen glaubt. Frage der Erinnerung Doch wie zuverlässig ist die Erinnerung? Was war da wirklich mit Luises geliebter und rebellischer Schwester? Bei der Beerdigung der Matriarchin taucht sie jedenfalls auf ebenso wie eine Schwester der Großmutter, von deren Existenz Luise nichts ahnte.  Die Großmutter hatte sie aussortiert, weil sie nicht in ihr am Patriarchat orientiertes System passte – wie Leni. Täterinnen und Opfer Die anderen Frauen spielen…

Am Ende des Lebens
Rezensionen , Romane / 28. März 2023

„Ich liebe ihn sehr“, schreibt Helga Schubert gleich am Anfang zu ihrem „Stundenbuch der Liebe“ mit dem Titel „Der heutige Tag“. Der, den sie sehr liebt, ist ein pflegebedürftiger 96-Jähriger am Rand der Demenz. 66 Jahre kennt sie ihn. 17 ist sie, als sie ihn, den Uni-Assistenten, zum ersten Mal sieht. Erst Jahre später – da ist sie mit einem anderen verheiratet – eröffnet ihr dieser Mann „ein Tor in eine Welt vor meinem eigenen Leben“. Der bewunderte Professor Er ist Professor und hat „Schlag bei den Frauen“ und sie bewundert ihn, wird seine Geliebte und später – nach ihrer und seiner Scheidung – seine Frau.  Derden nennt sie ihn und schreibt, dass er ein Teil von ihr ist – von Anfang an und erst recht als Patient, den sie mit nicht nachlassender Geduld pflegt. Und doch kommt der Tag, an dem er sie nicht erkennt, und es gibt Tage voller Verzweiflung: „Wenn ich Erbarmen mit Derden habe, dann ist die Traurigkeit weich. Und manchmal weine ich um uns beide.“ Dann wieder fragt Derden ganz der alte Egoist: „Was mache ich eigentlich, wenn du tot umfällst?“ Die zweite Kindheit Helga Schubert nimmt es ihm nicht übel, sie weiß, auch sie…

Am Ende der Liebe
Rezensionen , Romane / 28. März 2023

Nein, dieses Paar ist nicht „Das Liebespaar des Jahrhunderts“, wie Julia Schoch im Titel vorgibt. Es ist ein ganz normales Paar mit einer ganz normalen Geschichte. Aber wie die 1974 in Bad Saarow geborene Autorin diese Geschichte erzählt, ist schon etwas Besonderes. Auch, weil vieles, was sie schreibt, so nachvollziehbar ist, so normal. Überschwang der Liebe Julia Schoch spürt in dieser Autofiktion einer Liebe nach, die groß begann und sich im Alltag verliert. 30 Jahre sind die beiden zusammen, und alles beginnt ganz zauberhaft: „Ich liebte dich sofort“. Er ist anders als die anderen, liebt es elegant, will herausstechen. Und sie himmelt ihn an, schneidet sich die Haare ab, um ihm ähnlich zu sein. Denn so ganz kann sie es nicht fassen, dass sie diesen Mann getroffen hat. „Du und ich – das Liebespaar des Jahrhunderts“. Geteilte Erinnerungen Beide kommen aus Ostdeutschland, teilen viele Erinnerungen und brauchen dafür keine Worte. Nach dem Mauerfall nutzen sie die Gunst der Stunde, studieren im Ausland, sammeln jeder für sich neue Erfahrungen. Doch trotz so mancher leuchtender Momente schleicht sich die Ernüchterung ein. Nüchterne Bilanz in Zahlen Sie werden älter und Eltern. Der Alltag verschlingt die Zeit, sie sprechen kaum mehr mit einander und…