Anna Mitgutsch ist eine außergewöhnliche Autorin, die zu Recht zu den festen Größen im Literaturbetrieb zählt. An ihrem Buch „Unzustellbare Briefe“ hat sie lange gearbeitet und auch mit der Veröffentlichung gezögert. Denn in den 18 Briefen dieses Buches schaut sie zurück auf ihr eigenes, bewegtes Leben und auf die Freunde und Freundinnen, die sie begleiteten. Es ist ein Blick zurück, der weder sie selbst noch die anderen schont – angefangen bei der Großmutter über die erste große Liebe bis hin zum langjährigen Lektor und einer Freundin, die zur Rivalin wurde.
Zur Literatur
Im Brief an den geschätzten Lektor geht es auch um den Literaturbetrieb: „Diese Branche richtet sich selbst zugrunde, urteiltest du über den Literaturbetrieb. Du beklagtest die zerstörerischen Kräfte, die so sehr zugenommen hätten, die Sensationslüsternheit, die Fixierung auf Verkäuflichkeit, auf Zahlen und Bestsellerlisten… Es ist eine versunkene literarische Welt, der ich nachtrauere, schriebst du gegen Ende deines Lebens.“
Zum Reisen
In diesen sehr persönlichen, teilweise auch unverhohlen vorwurfsvollen Briefen finden auch Mitgutschs Reisen ihren Niederschlag. Aber vor allem geht es immer wieder um die Schriftstellerin und ihren Platz in der Welt. Wobei die Autorin beim Studium und beim Reisen ihre Grenzen auslotete – aber auch in den Freundschaften, die sie schloss und hin und wieder auch beendete. Von einem unwiderstehlichen Freiheitsdrang getrieben reiste Mitgutsch durch die Welt, auch als Tramperin, schloss sich in Amerika den Hippies an und unterrichtete an Universitäten. Auch als Mutter pendelte sie zwischen den Kulturen, ordnete ihr Privatleben dem Schreiben unter.
Zum Schreiben
Bücher scheinen hin und wieder wichtiger als das Leben: „… es war, als gingen wir durch eine Stadt, die wir neu erfanden und mit den Figuren meiner Romane bevölkerten. Wir wohnten in meinen Romanen und ihre Figuren waren unsere Zeitgenossen, auch wenn sie im neunzehnten Jahrhundert gelebt hatten, denn in einem Buch musste man wohnen können wie in einem Haus mit vielen Räumen. Romane durften keine Notunterkünfte, keine windigen Unterstände sein.“
Zum Leben
In den Briefen spricht sie nicht nur die einzelnen Personen direkt an, sie öffnet auch eine Tür in die eigene Vergangenheit: die Kindheit bei der Großmutter, die erste und unerwiderte Liebe, die Anfänge als Autorin, Begegnungen mit Intellektuellen und Künstlerinnen, mit Freundinnen und Liebhabern. Es sind viele Leerstellen darin, Missverständnisse, ungelebte Möglichkeiten.
Manchmal tragen die Adressaten Schuld daran, manchmal verkörpern sie Rettung in höchster Not: „Du wusstest ja nicht, wie ich lebte, in einem fremden Haus, verzweifelt bemüht, mein Kind zu retten, in atemloser Panik, ohne zu wissen, wovor… Als du mich anriefst mit der Nachricht, mein erster Roman sei erschienen, war ich auf dem tiefsten Punkt meines Lebens angekommmen, zu tief, um starker Gefühle fähig zu sein, so tief, dass die Verzweiflung stumpfer Hoffnungslosigkeit gewichen war, an dem Punkt, wo man allen Mut, alle Energiereserven erschöpft hat und nur mehr vegetiert. Wenn irgendjemand ausersehen war, mich vor dem seelischen Tod zu retten, dann warst du es.“
Zum Lernen
Und doch zerbricht auch diese Freundschaft, scheitert an Missverständnissen. Anna Mitgutsch hat gelernt, dass nichts vollkommen ist und wenig von Dauer. Und sie weiß wohl, dass sie selbst für manches Scheitern die Verantwortung trägt. Eine ebenso bittere wie notwendige Einsicht, geboren aus absoluter Ehrlichkeit und seelischer Größe. Und ein lesenswertes Lehrstück fürs eigene Leben.
Info Anna Mitgutsch. Unzustellbare Briefe, Luchterhand Literaturverlag, 314 S., 24 Euro
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