Am Ende aller Hoffnung

10. Dezember 2024

Der in Minsk geborene Sasha Filipenko macht aus seiner Gegnerschaft zum Präsidenten von Belarus kein Hehl. In seinem neuen Roman „Der Schatten einer offenen Tür“ zeichnet der heute in der Schweiz lebende Schriftsteller ein düsteres Bild der russischen Gegenwart – inspiriert von einer wahren Geschichte.

Ein Geschenk mit Nebenwirkungen

Der Roman ist eingeteilt in 24 Gesänge. Am Ende stehen Epilog und Postskriptum. Im Epilog geht es nochmal um die wichtigsten Personen und Handlungen des Romangeschehens: Um den Moskauer Kommissar Alexander Koslow, der als Ermittler nach Ostrog geschickt wurde, nachdem sich in einem Kinderheim mehrere Kinder selbst getötet hatten. Und um das Danaergeschenk des Bürgermeisters, der den Waisenkindern Ferien am Meer spendiert hatte, was dazu führte, dass sie hinterher noch unglücklicher waren.

Ein Kauz als Bauernopfer

Der Kommissar ist zunächst ratlos, auch weil er primär mit sich selbst beschäftigt ist, seit seine Frau ihn verlassen hat. Warum soll er sich da in der Provinz mit unfähigen Polizisten und sadistischen Wärtern rumschlagen? Deren Opfer ist der gutwillige Kauz Petja Pawlow, der selbst im Kinderheim aufgewachsen ist. Ausgerechnet der harmlose Petja soll die Jugendlichen ermordet haben. Dabei weist nichts auf Fremdeinwirkung hin. Aber bei jedem Opfer wurde seine DNA gefunden. Er muss also schuldig sein. Das Geständnis wird aus dem armen Kerl buchstäblich herausgeprügelt.

Was heißt schon Gerechtigkeit?

Es ist eine grausame Szene, die Sasha Filipenko da in allen hässlichen Einzelheiten beschreibt. Und natürlich ist das Ergebnis wie gewünscht: „Als es Zeit wird, das Geständnis zu unterschreiben, schieben sie Petja einen Kugelschreiber zwischen die kraftlosen Finger und krümmen sie so, dass er ihn hält, woraufhin Petja eine Sekunde lang ein Lebenszeichen von sich gibt – er stöhnt. Kurz gesagt, es funktioniert alles bestens. Schon um vier Uhr früh verfügt Michail über Pawlows Unterschrift… Das Geständnis liegt vor, der Kreis schließt sich. Die Gerechtigkeit trägt ihren Sieg davon, und Pejas geschundener Körper wird aus dem Dienstzimmer geschleift. Die Ermittler waschen sich erst mal die Hände.“

Die Suizide als Werbung

Zwar rettet Koslow dem bis zur Unkenntlichkeit gefolterten Petja das Leben, aber dessen Schicksal interessiert ihn nicht wirklich. Doch dann trifft ihn ein Satz des misshandelten Mannes in Herz: „Wenn du dir nich … selb …helf… kannst – hilf einem anderen.“ Erst jetzt überfällt den Kommissar eine wichtige Erkenntnis zu dem Fall, die Petjas Unschuld zweifellos beweist. Und die Waisen? Sie können sich vor Adoptionswünschen „engagierter“ Eltern kaum retten. Eine bessere Werbung als die Suizide, so die Heimleiterin, hätte es kaum geben können.

Erschütternd hellsichtig

Es ist eine rabenschwarze Geschichte, die Sasha Filipenko hier erzählt, untermalt mit geradezu sardonischem Humor. Sie handelt von vergeblichen Hoffnungen, von Verzweiflung, Gleichgültigkeit und Gewalt. Von ganz normalen Menschen und dem, was auch gutgemeinte Ideen in den Seelen von Kindern anrichten können. Erschütternd hellsichtig, aber keine Lektüre für schwache Nerven.

Info Sahsa Filipenko. Der Schatten einer offenen Tür, aus dem Russischen von Ruth Altenhofer, 270 S., 25 Euro

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