„Wir waren glücklich hier“, ist der Titel von Christoph Reuters Roadtrip durch Afghanistan. „Wir waren glücklich hier“, sagte dem Reporter ein junger, gut ausgebildeter Afghane, bevor er zusammen mit anderen sein Land in einer Frachtmaschine verläßt. Konnte man in diesem seit einem halben Jahrhundert vom Krieg heimgesuchten Land glücklich sein? Und was für eine Zukunft erwartet die, die bleiben?
Extreme Erlebnisse
Reuter nutzt die kurze Zeitspanne während der Machtübernahme der Taliban, um Afghanistan zu bereisen. Während die Afghanen aus ihrer Heimat fliehen, reist er ein und erlebt „selbstlose Güte und Großzügigkeit, unglaublichen Mut, ebenso rabiate Gier, Verschwörungsglauben, Missgunst.“ Ein Wechsel der Extreme wie die Landschaft. Und extrem ist auch, was die Journalisten erleben: Sie werden mit dem Tod bedroht, immer wieder verhaftet und verhört, dann aber auch zum Gastmahl bei hochrangigen Taliban geladen.
Fatale Entscheidungen
Der Journalist zeigt Verständnis für die Hoffnung der Afghanen, mit den Taliban zu einer sichereren Zukunft zu finden als mit korrupten Marionettenregierungen bisher – auch wenn er selbst nicht daran glaubt. Er hält mit seiner Kritik an der fatalen Entscheidung deutscher Offiziere zur Bombardierung entführter Lastwagen, die vor allem Zivilisten das Leben kostete, ebenso wenig hinter dem Berg wie mit der Kritik an falsch investierten Entwicklungshilfemilliarden. Die Soldaten, mutmaßt er, kannten die Afghanen so wenig wie ihre Regierung.
Jenseits von Eden
Auf seiner Reise durch Afghanistan trifft er Taliban und Feinde der Taliban, er spricht mit jungen Afghanen, die ihre Zukunft nur in der Flucht sehen und mit alten Männern, die ausharren, weil sie alle Hoffnung aufgegeben haben. Er trifft Bauern, die sich gegen den Landraub der Taliban zur Wehr setzen, eine Buchhändlerin, die mit einem Bücherbündel die Lust am Lesen aufrecht erhalten will. Und er reist in eine Gegend, die ein Paradies sein könnte, wenn die Bewohner friedlicher wären.
Eine fremde Welt
Reuter nimmt die Lesenden mit auf eine aufregende Reise durch ein Land, das einst auf dem Hippie-Trail lag, wo selbst die Frauen größte Freiheiten hatten und das heute von einem Steinzeit-Islam bedroht wird – mit dem Islamischen Staat ante portas. Der Reporter hat einen Roadtrip gewagt, den man so in nächster Zeit nicht mehr wagen könnte, weil sich das Land immer mehr abschottet und viele Gegenden nicht mehr bereisbar sind. Aber wer das Buch liest, kann mit Reuter eine Welt entdecken, die uns fremd geblieben ist.
Info Christoph Reuter. Wir waren glücklich hier, DVA, 337 S.,25 Euro
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