Eigentlich hat sie was ganz anderes gemacht, war einmal Managerin, aber das Reisen mit der Kamera macht Julia Finkernagel soviel Spaß, dass sie auch so manche Unbequemlichkeit dafür in Kauf nimmt. Für den Mitteldeutschen Rundfunk mdr zog sie mit ihrem Kameramann Michael „Ostwärts“, in Länder, die noch nicht vom Overtourism heimgesucht sind, nach Polen, in die Slowakei, nach Bulgarien, Russland, Kirgistan, Georgien, Tadschikistan, Usbekistan und in die Mongolei.
Eintauchen in Neuland
Und sie traf in den oft bitterarmen Ländern nicht nur auf sympathische Menschen, sondern entdeckte auch jede Menge interessanter Kultur- und Naturschätze. Dass sie hin und wieder übers Ohr gehauen wurde, geschenkt. Da ist Julia Finkernagel nicht nachtragend. Ihr geht es darum, in Neuland einzutauchen. Dafür verzichtet sie gerne auf so manche Privilegien, die ihr als emanzipierter Frau und Filmerin zustünden, weswegen sie sich im Buch immer wieder an Hardcore-Feministinnen wendet, die ob dem Standing der Frauen in den besuchten Ländern die Hände über dem Kopf zusammenschlagen würden.
Emanzipation Nebensache
Doch die Ostwärts-Reisende will erfahren, nicht belehren. Julia Finkernagel lässt sich sogar überreden, in Kirgistan die Rolle einer „Schwiegertochter“ zu übernehmen. Fazit: Viel Arbeit, nichts zu melden. Trotzdem sieht sie die bereisten Länder und ihre Reisebegleiter mit viel Sympathie. Und immer wieder lernt sie Neues wie in Georgien bei der Tischgesellschaft Supra, wo der Tamada die Regeln bestimmt. „Trinken auf höchstem gesellschaftlichem Niveau“ urteilt Finkernagel. Oder das sich Fallenlassen in Russland: „Pure Lebensfreude“ Das Rumliegen in der Natur ist überhaupt eins der tollsten Dinge, die ich auf dieser Reise erfahre… Wenn einem Bäume-Umarmen zu Mainstream geworden ist, lohnt es sich absolut, mal Wachholderbusch-Stagediving rückwärts auszuprobieren. Es hat etwas extrem Kindliches.“
Leben ohne Schischi
Extrem kindlich ist auch hin und wieder die Freude der Autorin über neue Erfahrungen und neue Bekanntschaften – und so schreibt sie auch, frei von der Leben weg und manchmal auch ein bisschen naiv, z.B. über ein Tadschikistan: „Mich macht es demütig, Menschen zu sehen, die mit so wenig Besitz so viel Reichtum schaffen. Inneren Reichtum. Vierzig Tadschiken, so geht ein Sprichwort, teilen sich eine Rosine.“ Oder über die Reise: „Es sind diese kleinen und vermeintlich unbedeutenden Begegnungen – an der Straße, im Laden, auf dem Feld, von mir aus auf der anderen Flussseite –, die mir permanent das Herz aufgehen lassen. Hier ist das Leben unverfälscht und wesentlich, es ist noch rein von Schischi und Äußerlichkeiten.“
Die Empathie der Vielreisenden überträgt sich auf die Leser, die nach der Lektüre mit Sicherheit Lust bekommen, die bislang wenig bereisten Länder kennenzulernen. Wenn nicht beim Reisen, dann vielleicht über Julia Finkernagels Ostwärts-Filme.
Info: Julia Finkernagel. Ostwärts, KnesebeckStories, 238 S., 16 Euro, ISBN 978-3957282866
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