Judith Merchant ist kein unbeschriebenes Blatt. Sie unterrichtet Creative Writing an der Universität Bonn, hat schon zwei Mal den „Glauser“ für ihre Kurzgeschichten bekommen und war auch mit ihren Rheinkrimis erfolgreich. Mit „Atme!“ ist sie nun ins Thriller-Genre gewechselt, wobei Titel und Klappentext atemlose Spannung suggerieren. Das Versprechen hält die versierte Autorin auch ein, indem sie die Leser in ein Wechselbad der Gefühle stürzt.
Plötzlich ist Ben verschwunden
Und das ist der Ausgangspunkt: Der noch mit Flo verheiratete Ben, die große Liebe der Ich-Erzählerin Nile, verschwindet bei einem Einkaufsbummel spurlos. Um ihn zu finden, überwindet sich Nile, mit Flo zu kooperieren. Doch trauen kann sie Flo nicht, womöglich auch nicht Ben. Und sich selbst?
„Der Bodensatz von allem, was mit Flo zu tun hat, ist schwarze, klebrige Eifersucht, und die war schon immer da, seit dem Moment, als Ben das erste Mal ihren Namen nannte und ich begriff, dass es sie gibt. Seine Frau. Dass er eine hat.“
Wer bin ich und wenn ja wie viele
Wer ist diese Nile, die Flo den Mann weggenommen hat? Das nette junge Mädchen von nebenan, das von Flos Freunden gemobbt wird? Eine Frau mit Kontrollwahn? Das verängstigte Opfer einer frühen Vergewaltigung, die ein Trauma hinterließ? Eine gewalttätige, rabiate Person? Nile könnte das alles sein, getreu dem Buch des Zeitgeist-Philosophen Richard David Precht „Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“.
Die Leser können sich aussuchen, welche Version für sie am ehesten nachvollziehbar ist. Aber können sie sich selbst trauen, ihrer Logik, ihrer Wahrnehmung? Merchant spielt mit dem menschlichen Bedürfnis nach Klarheit, nach der einen Wahrheit. Der psychologisch raffiniert konstruierte Roman um eine Liebe, die zum Höllentrip wird, schlägt einige, nicht immer logisch nachvollziehbare, Volten bis zum – letztlich erwarteten – Ende.
Info: Judith Merchant, Atme, Kiepenheuer & Witsch,15 Euro
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