Donna Leon ist inzwischen 76, und sie lebt schon seit geraumer Zeit nicht mehr in Venedig. Wie alt ihr Commissario Guido Brunetti ist, weiß man nicht so recht. Auf jeden Fall löst er in diesem Buch seinen 28. Fall. Aber in der Familie Brunetti und im Polizeipräsidium scheint die Zeit still zu stehen. Die Kinder leben immer noch zu Hause, der Vize-Questore ist immer noch kein einfacher Vorgesetzter und die schöne Signorina Elettra ein hilfreicher Engel mit digitaler Allwissenheit.
Es geht um Väter und Söhne
Und doch ist etwas anders in diesem Krimi mit dem Titel „Ein Sohn ist uns gegeben“. Es geht um Väter und Söhne, leibliche und angenommene und vor allem darum, dass ein Freund von Brunettis adligem Schwiegervater vor einer Dummheit bewahrt werden soll: Der alternde Gonzalo Rodriguez de Tejeda will seinen jungen Liebhaber adoptieren und zum Alleinerben einsetzen. Das Szenario nutzt Donna Leon für einen – nostalgischen – Blick zurück in die Vergangenheit des Conte und seiner Freunde. Der schwule Spanier Gonzalo war von seinem Vater verstoßen worden, er hatte in Lateinamerika ein Vermögen gemacht und dort auch Freunde gefunden. In seiner Wahlheimat Venedig wurde der distinguierte Spanier auch zum Vertrauten Brunettis und seiner Familie – und doch hatte er ein Geheimnis, von dem nicht einmal der Conte wusste und das letztlich zu einer Bluttat führt.
Mehr Gesellschaftsroman als Krimi
Man weiß es schon: Donna Leons Bücher sind mehr kluge Venedig- und Gesellschaftsporträs denn spannende Krimis. Das gilt auch für diesen Roman, in dem Brunetti dazu gezwungen ist, über die letzten Dinge des Lebens nachzudenken: „Wie traurig. Das lebt man ein Leben lang mit Menschen zusammen, die man für seine Freunde hält, gibt Partys, lädt sie auswärts und bei sich zu Hause zum Essen ein, vergisst keinen Geburtstag – und am Ende interessiert sie einzig und allein, ob sie im Testament bedacht worden sind.“ Womöglich ist es auch Donna Leon selbst, die diese Gedanken beschäftigen…
Info: Donna Leon. Ein Sohn ist uns gegeben, Diogenes, 307 S., 24 Euro
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