Die Helden sind meist gewöhnlich, doch das, was um sie herum geschieht, ist außergewöhnlich. Das gilt auch für Haruki Murakamis „Die Ermordung des Commendatore“, vom Verlag in zwei Teilen herausgegeben. Nach „Eine Idee erscheint“ heißt es im zweiten Teil „Eine Metapher wandelt sich“ – und dieser zweite Teil fordert den Lesern noch mehr Bereitschaft ab, dem Dichter in eine Welt zu folgen, in der sich Realität und Fantasie mischen. Wären sie nicht vom ersten Teil her schon gut vorbereitet darauf, dass sich Fantasiewesen materialisieren, dass die Realität auch der Magie Platz lässt, der zweite Teil würde sie überfordern.
Abenteuer zwischen Traum und Wirklichkeit
Doch Murakami hat den Boden sorgfältig bereitet: Der Commendatore, entwichen aus dem Gemälde zur Mozart-Oper „Don Giovanni“, diskutiert ganz real mit dem neuen Hausbewohner. Ein Freund, Sohn eines bekannten Malers, hatte dem in einer Ehekrise steckenden Berufsporträtisten das Haus seines Vaters als Zuflucht angeboten. Eben da findet der 36-jährige Gast das versteckte Gemälde „Die Ermordung des Commendatore“, und er lernt einen Milliarden schweren und rätselhaften Nachbarn kennen, den Steigbügelhalter zu all den kommenden Abenteuern zwischen Traum und Wirklichkeit. Man spürt schon den Einfluss Kafkas in den rätselhaften Passagen, die zwischen den Welten changieren.
Die Philosophie der Dona Ana
Im zweiten Teil tritt dann noch eine zweite Figur aus dem Gemälde, ein Beobachter. Dieses „Langgesicht“, wie ihn der Ich-Erzähler nennt, öffnet dem Ich-Erzähler die Pforten zum Jenseits, wo noch eine dritte Figur auftaucht, Dona Ana, die alsbald klar stellt, dass keine Wahrnehmung verlässlich ist: „Niemand weiß , was wirkliche Dinge sind… Alles Sichtbare ist letztlich das Produkt eines Zusammenhangs, einer Verbindung. Das Licht hier ist ein Gleichnis des Schattens und der Schatten ein Gleichnis des Lichts.“
Die Unterwelt als Hort des Absurden
Auch Murakamis zweiteiliger Roman ist das Produkt eines Zusammenhangs – zwischen östlichen Nachtmahrepisoden und westlichen Unterweltfantasien, zwischen Sein und Nichtsein. Der Ich-Erzähler muss sich auf einen Höllentrip wagen wie einst Orpheus, muss sich der Dunkelheit stellen, der buchstäblichen und der des eigenen Unbewussten. Und all das, um ein halbwüchsiges Mädchen zu retten, das sein Nachbar für die eigene Tochter hält und das auf unerklärliche Art verschwunden ist: „Warum hatte ich diese unterirdische Welt durchwandern müssen? Und mit eigener Hand den Commendatore erstechen müssen, um dorthin zu gelangen? Er hatte sein Leben geopfert, und ich hatte eine schwere Prüfung auf mich genommen. Dafür hatte es natürlich einen Grund gegeben. In der Unterwelt herrschten unbestreitbare Gefahren und absoluter Schrecken. Die absurdesten Dinge konnten dort geschehen, ohne dass es verwunderlich war…“
Ein Buch, das man nur ungern aus der Hand legt
Das Mädchen taucht wieder auf, für sein Verschwinden findet sich eine einfache Erklärung. Aber für vieles andere, was bei dieser Gratwanderung zwischen den Welten geschehen ist, bleibt der Autor die Erklärung schuldig. Wozu auch sollte er sich die Mühe machen? Das ganze Geschehen entzieht sich ohnehin jeder Logik. Das mag manche Leser verstören oder frustrieren. Doch der Roman entwickelt auch dank Murakamis viel gelobter lakonischer Sprache einen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Man könnte immer so weiter lesen…
Info: Haruki Murakami. Die Ermordung des Commendatore II – Eine Metapher wandelt sich, DuMont, 489 S., 26 Euro
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