Ein Dorf in Irland, in dem die Zeit stehen zu bleiben scheint: Niall Williams hat das fiktive Faha in mehreren seiner Romane zum Leben erweckt – auch in seinem neuen Buch „Das ist Glück“. Es ist das Jahr 1958, in Faha brennt noch das Torffeuer im Kamin, das Wasser kommt aus dem Brunnen, das Licht lässt sich noch nicht an- und ausschalten. Die Menschen hier leben wie im 19. Jahrhundert – und sie scheinen zufrieden. Trotz des Regens, der „von hinten und von vorn und aus allen anderen Richtungen kam“.
Sonne und Strom
Und dann, mitten in der Karwoche, hört es plötzlich auf zu regnen. Faha erlebt Tage voller Sonnenschein und fast spanischer Hitze, während die Vorbereitungen zur Elektrifizierung beginnen. Und das Dorf wird Zeuge einer Liebesgeschichte, die das Zeug zur Legende hat. Denn mit der Sonne kommt Christy ins Dorf, der für die Elektrifizierung werben soll. Für den Ich-Erzähler Noel, genannt Noe, wird der welterfahrene Mann schnell zum Freund und Wegweiser.
Große Gefühle
Nicht alle im Dorf heißen die kommenden Errungenschaften für das Dorf gut. Auch Noels schrullige Großeltern Ganga und Doady, bei denen Christy sich einquartiert hat, wehren sich dagegen. Der Untermieter bringt einiges durcheinander in dem Dorf, in dem über Jahrhunderte alles beim alten geblieben war. Und bald wird klar, dass Christy nicht wegen der Elektrifizierung gekommen war, sondern der Liebe wegen. Einer Liebe, die er vor 50 Jahren verraten hatte.
Erste Liebe
Jetzt wollte er alles gut machen, was er damals falsch gemacht hatte. Und Noel sollte ihm dabei helfen – und lernen, selbst so einen Fehler zu vermeiden. In dieser Zeit passiert so einiges: Der 17-jährige ehemalige Priesterschüler verliebt sich zum ersten Mal – und das gleich dreifach. Auf der vergeblichen Suche nach dem populären Musiker Junior Crehan ziehen er und Christy durch die Pubs. In Faha werden die Menschen des schönen Wetters überdrüssig, die Elektrifizierung schreitet voran. Und Noel kommt Christys einstiger Liebe näher.
Lob der Geschichtenerzähler
Das ist allerdings nur das Gerüst dieses Romans, der nicht nur Noels Coming of age erzählt, sondern auch eine Ode an die irische Musik ist, ein Lob der Geschichtenerzähler. Erzählt wird das Ganze mit allen Abschweifungen von einem alt gewordenen Noe, der hin und wieder den Faden auch an sein junges alter Ego abgibt. Und der Titel verdankt sich der Aussage Christys „Das hier, das ist Glück“.
Poetische Sprache
Wirklich viel passiert nicht in diesem ausschweifenden Rückblick. Es gibt auch kein Happy End – oder vielleicht doch. Aber am Ende hat man das Gefühl, eine Ahnung davon bekommen zu haben, was Glück bedeutet. Das liegt auch an der poetischen Sprache von Niall Williams, die Tanja Handels ohne Scheu vor Kitsch ins Deutsche übertragen hat.
Eine Kostprobe :
„Daran denke ich oft. Wir alle können jetzt und hier still werden, den Kopf heben, tief Luft holen und anerkennen: Das ist Glück, und derweil radelt Christy, eine stämmige Gestalt in Blau, weiter durchs Jenseits, hebt bedächtig die große Hand und winkt uns allen, diw wir ihm nachfolgen werden, zu.„Das ist Glück“, bekräftigte er noch einmal, dann stieß er sich ab und strampelte keuchend den Hand hinauf, fort von jeder weiteren Befragung.
Unter dem stecknadelgespickten Himmel war die Nacht ohne elektrisches Licht groß wie Gott und monumental. Im Breen‘s, dem Pub, ließ sich zwar der Erzengel an diesem Abend nicht blicken, aber in einer Ecke saß ein Dudelsackspieler, die damals so selten waren wie Hühnerzähne, und spielte eine klagende Melodie, die Klang, als sänge der Salzwind selbst zutiefst befremdlich und doch vertraut, mit keiner Musik sonst zu vergleichen, eine absolute Musik, kompromisslos wie der Schwarzdorn, uralt und elementar; in dieser Weitese, die er da spielte, lag die ganze Geschichte des kummervollen Herzens, und als ich zu Christy hinüberschaute, sah ich das Leid in seinem Glück in den Augen glänzen.“
Info Niall Williams. Das ist Glück, Aus dem Englischen von Tanja Handels, Ullstein, 464 S., 24,99 Euro
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