Toyboy, das ist Levin, der seinen Körper verkauft – als Escort-Boy, in Pornos und in schlecht gemachten Camshows. Für etwas anderes hat er sich nie interessiert, ein normaler Job ist ihm zu öde. Eigentlich wollte er in LA Model werden, aber da gab es zu viel Konkurrenz. Jetzt ist er wieder zurück – und findet seinen Bruder Gregor in einer ziemlich verzweifelten Lage.
Ein gefährlicher Plan
Der Junge scheint verloren in seiner Einsamkeit. Aus seinem Kinderzimmer heraus befehligt er online Soldaten und datet eine Frau, die nichts anderes von ihm will als Geld. Levin, der selbst in Problemen feststeckt und darüber nachdenkt, „wie einfach das Leben wäre, könnte man es mit Faustschlägen traktieren“, will das brüderliche Elend nicht mit ansehen. Er schmiedet einen waghalsigen Racheplan, der nicht funktionieren kann. Am Ende bringt er damit nicht nur seine verbliebenen Freunde, sondern auch den Bruder in Gefahr.
Der vergessene Bruder
Dabei will er ihm nur helfen, will wieder der Beschützer sein, der er einmal war: „Ich erinnere mich an das sinnstiftende Gefühl, für Gregor zu sorgen und auf ihn aufzupassen. Er hat mich vergöttert, und ich habe ihn beschützt.“ Doch irgendwann hat er das alles hinter sich gelassen, es „einfach vergessen, so wie man vergisst, dass man eine Zunge im Mund trägt, bis man draufbeißt oder sie sich versehentlich verbrennt“.
Porträt der Gegenwart
Jetzt, da es fast zu spät ist, will Levin Verantwortung übernehmen, will Gregor wieder ein Bruder sein – auf seine Art. Das Ende könnte ein neuer Anfang sein.
Jonas Theresia zeichnet in Toyboy ein verstörendes Porträt unserer Gegenwart. Seine beiden Brüder leben in einer sinnentleerten Welt, in der sie sich womöglich gegenseitig Halt geben können. Toyboy ist trostlos und witzig, abschreckend und berührend. Ein erstaunlich hellsichtiges Debüt über Liebe und Nähe in einer zerfallenden Welt.
Hineingelesen…
… in die Absurdität des Daseins
Gregor fühlt sich bereit zu kämpfen, doch nirgendwo sind Schlachten, die es wert sind, geschlagen zu werden. Ein VWL-Studium, eine Karriere als Zahnarzt, Unternehmer, Verwaltungsbeamter oder sonst was käme für ihn einer quälend langsamen Todesstrafe gleich: Zigtausende Stunden Excel-Tabellen ausfüllen, Mails beantworten, Rechnungen begleichen, Rotwein saufen, online-shoppen, Games zocken, Pornos suchen, Kippen rauchen, Selbstgespräche führen, schlaflos an die Decke starren und letztendlich von jener Leere zerquetscht werden, die bis an die äußersten Ränder der menschlichen Geldzivilisationen reicht. Dieses Aussicht muss ihm Angst einjagen, so wie sie jedem Angst einjagen würde.
Info Jonas Theresia. Toyboy, Kein & Aber, 222 S., 23 Euro
2 Comments
Was ich an vielen Romanen regelrecht hasse, sind die ausufernden Beschreibungen von Personen und Szenarien. Erstens entsteht dadurch selten ein guter Zugang oder Nähe und zweitens stören diese Beschreibungen häufig die eigene Vorstellungskraft, die ein gutes Buch beim Leser auslöst. Jonas Theresia löst dies in seinem Debutroman „Toyboy“ auf meisterhafte Weise: Er benötigt keine elaborierten Beschreibungen, sondern kann den Leser in relativ kurzen Sätzen und mit relativ einfachen Worten sofort „abholen“ und in die Geschichte eintauchen lassen. Man fühlt mit dem Protagonisten Levin und seiner Perspektivlosigkeit und seiner sozialen Inkompetenz, und immer wieder fühlt man sich (wie auch Levin) regelrecht unwohl. Gleichzeitig vermag es Jonas Theresia aber auch, durch skurrile Situationen und humorvolle Untertöne immer wieder Kontrapunkte zu setzen und diese Balance geschickt zu halten. Dabei ist „Toyboy“ einerseits voll von Seitenhieben und gesellschaftlichen Themen, ohne sie zu moralisierenden oder gar läuternden Exkursen zu entwickeln und sich darin zu verlieren. So kann man jedes Kapitel einzeln für sich als eigene kleine Geschichte lesen (und reflektieren) – andererseits hat „Toyboy“ auch eine Sogwirkung, der man sich nicht entziehen kann … und ein Ende, das wirklich berührt.
Danke, Olga, für diese gute Ergänzung.