Das Lied der Schienen

17. September 2024

Zugfahren, das ist hierzulande keine reine Freude. Aber vielleicht hilft das Buch des Bahnenthusiasten Jaroslav Rudiš dabei, sich durch Ärgernisse wie Verspätungen, Zugausfälle, umgekehrte Wagenreihung und mehr die Laune nicht verderben zu lassen. „Gleise, die die Welt bedeuten“ versammelt Geschichten übers Bahnfahren in aller Welt – nicht nur positive, aber alle mit einer guten Prise Humor. Ohne die geht es selten bei Zugfahrten.

Die Seele kommt mit

Aber die Geschichten zeigen auch viel Positives, das einem bei langen Fahren begegnen kann: „Wenn ich mit dem Zug unterwegs bin, wirkt die Welt draußen auf mich wie ein nicht endender Film über das Leben, in dem ständig etwas Neues passiert“, schwärmt die Schweizerin Lea Cadisch. Und: „Der Hauptgrund aber, weshalb ich, wenn immer es geht, lieber lange mit dem Zug unterwegs bin als vielleicht etwas schneller mit dem einem Flugzeug: das Gefühl, wenn ich aus dem Zug aussteige, den Bahnsteig betrete, tief einatme und feststelle, meine Seele ist nicht über den Wolken hängen geblieben und reist mir hinterher, meine Seele ist mit mir angekommen.“

Positive Nähe

Dieses Gefühl freilich wird oft teuer bezahlt – durch die Enge in überfüllten Zügen, in denen selbst Stehplätze rar sind. Durch Nachbarn, die sich gern reden hören oder immer alles besser wissen. Doch auch diese Missstände werden nach Meinung von Bahnfans mehr als kompensiert durch die Gelegenheit, neue Menschen kennenzulernen, in fremde Leben und Kulturen einzutauchen, anregende Unterhaltungen zu führen.

Unvergessliche Erlebnisse

Sylwia Jalocha hat bei einer Zugfahrt nicht nur gelernt, was ein Aerarium ist, sondern auch einen „unvergesslichen Moment“ erlebt, als ihr Zugnachbar die Schmetterlinge aus dem „netzumspannten Luftbehälter“ freiließ. Und Bettina Haase feiert die „Wiederentdeckung des Sechser-Abteils“, das die Menschen näher zusammenbringt – näher als der Großraumwagen im ICE.

Die schönste Bahnstation

Herausgeber Jaroslav Rudiš  schließlich lässt einen Freund die Londoner Bahnstation St. Pancras preisen, „die schönste Bahnstation auf der ganzen Welt, die wahre Kathedrale des Verkehrs“. Daneben liest man über Hobos, die in den USA als blinde Passagiere auf Güterwagen mitreisen und daraus eine eigene Kultur entwickelt haben. Oder über eine Mutter, die mit ihrem Kleinkind in der Transsibirischen Eisenbahn unterwegs war.

Anregende Lektüre

Bei so viel spannendem, teilweise auch emotionalem Lesestoff kann man die üblichen Zugverspätungen schon viel leichter ertragen. Vielleicht lassen sich einige Menschen durch die Lektüre sogar dazu anregen, auch mal mit den Mitreisenden zu plaudern statt mit dem Handy. Wie man lesen kann, sind da positive Überraschungen nicht ausgeschlossen.

Info Jaroslav Rudiš  (Hrsg.) Gleise, die die Welt bedeuten, Malik, 250 S., 18 Euro

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