Der alte Mann und das Tier

25. Januar 2024

Bodo Kirchhoff kennt den Gardasee, wo er ein Haus hat. Und er weiß, wie Männer über 70 ticken: er ist Jahrgang 1948. In seinem neuen Roman „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt“ fließen die eigenen Erfahrungen ein, wobei dem Tier – in diesem Fall die rumänische Straßenhündin Ascha – eine bedeutende Rolle in diesem Fünf-Personenstück zukommt: „Seit er sein Leben mit einem Tier teilt, denkt Schongauer in schlaflosen Nächten sogar manchmal daran, dass er gern als dieses Tier auf die Welt gekommen wäre, nur mit dem Gedächtnis für Gut und Ungut, Freund oder Feind, und ohne Wissen um die Zeit.“

Verheerungen des Alters

Doch der Hauptfigur Louis Arthur Schongauer, einem ehemaligen B-Schauspieler in Hollywood, ist das Vergehen der Zeit schmerzlich bewusst. Der 75. Geburtstag droht. Und als die 24 Jahre junge Influencerin Frida mit ihrem Wohnmobil vor seinem Garten strandet, spürt er mehr denn je die Verheerungen des Alters. Dabei war er doch auch einmal jung, damals in Hollywood, als er in Nebenrollen immer den bösen Nazi verkörpern sollte. Und als sich die junge Lynn in ihn verliebte.

Zwei Frauen und viele Fragen

Mehr denn je wird dem alten Mann am Berg die Vergangenheit bewusst, als zusätzlich zu Frida die 49-jährige „Autorin“ Almut Stein, Frau eines erfolgreichen Kardiologen, in sein Eremitendasein einbricht und ihn mit ihren Fragen nach seiner Karriere, seiner Ehe, seinem Leben aufschreckt. Sie wolle den ehemaligen Hollywoodschauspieler dem Vergessen entreißen, hatte sie ihm geschrieben. Jetzt konfrontiert sie Schongauer mit seiner Vergangenheit, stellt bohrende Fragen nach der ersten Liebe und Lynns Selbstmord. Nach der Ehe mit der Tierfotografin Magda und deren Tod in der Brandung.

Zumutungen fürs alte Herz

Ein Mann und zwei Frauen, dazu noch die Hündin. Schongauer flüchtet sich in die Rolle des Gastgebers, füllt Wein nach und fühlt wider Willen in sich eine alte Sehnsucht  in sich aufsteigen. Almut, wie er die attraktive Autorin nach langen Gesprächen nennt, kommt ihm näher als er zulassen will und als es sein altes Herz erträgt: „Und auf einmal glaubt er auch zu wissen, was es ihm schwer macht, einfach nur ihre Fragen zu beantworten: dass er sie verheerend gern ansieht, wie keine Frau seit Magdas Tod – verheerend, weil so gut wie alles an ihr über die Augen unmittelbar in das Organ dingt, für das ihr Mann zuständig ist, ohne dass der ihm sagen könnte, warum es sich darin breitmacht.“

Gegenentwurf zum Gastgeber

Frauen, Liebe, Intimität und Schmerz –  immer wieder kehrende Motive in den Romanen von Bodo Kirchhoff. In diesem Fall kommt zu den beiden so unterschiedlichen Frauen noch eine dritte hinzu, Fridas Mutter, eine nervige TV-Talkerin, die sehr zu Schongauers Unwillen ihre Tochter dominieren und den Gastgeber provozieren will. Mit dem Albaner Luan, der Fridas gestrandetes Wohnmobil wieder flott macht, ist das Personensetting komplett, auch wenn der kernige Alleskönner nur einen kurzen Auftritt hat – als Gegenentwurf wohl zum zunehmend hilflosen Gastgeber.

Dramatische Naturbeschreibungen

Es geht um nicht weniger als um das Leben in diesem poetischen Alterswerk, das auch mit seinen dramatischen Naturbeschreibungen die Lesenden hineinzieht in das Haus am Berg. Es geht um Liebe, Erotik, Trauer. Ja, auch um Sex. Trotzdem nährt es keine schlüpfrigen Altmännerträume, dazu ist das Ganze zu elegant erzählt, auch ironisch gebrochen. Bodo Kirchhoff erweist sich wieder einmal als meisterhafter Stilist, dem man auch den nicht ganz woken Blick auf die Frauen verzeiht. Ein großer Roman, so faszinierend wie desillusionierend.

Hineingelesen…

… in Gedanken über die Hündin Ascha

Sein Tier kommt lautlos ins Haus, er sieht und hört es nicht, er riecht das Fell der Hündin; erst hat sie die Katzen vertrieben, dann sich sonstwo gewälzt, jetzt springt sie zu ihm aufs Sofa, und er nimmt ihren Kopf in den Arm – nichts, aber auch gar nichts an ihr gehört ihm, und für den einzigen Versuch, ihr das Fell an den Hinterkäufen zu kürzen, damit sich nicht jeder Dreck oder Grannen darin verfangen, hat er sich bei ihr entschuldigt wie bei einem Menschen, es tut mir leid, es kommt nicht wieder vor, dein Fell gehört dir, auch wenn es an manchen Stellen stört, aber nur mich. Aschas Atem ist so ruhig, wie der von Lynn an seiner Seite nie war, sie war auch im Schlaf ruhelos, die Verlorene, die sich an ihn geklammert hat, während sein Tier ihm nur vertraut, wenn dieses Wort nicht schon zu menschlich ist, eher stellt er für Ascha einfach das Gute dar und irgendwie, auch wenn das schon wieder zu weit gedacht ist, auch das Wahre. Und was er in den letzten Tagen nur in den manchmal zu langen Pausen zwischen zwei Herzschlägen gespürt hat, ist auf einmal Gewissheit, als gäbe es eine Formel, bei der er nur die Zahlen zu seiner Verfassung einsetzen müsste, dann käme heraus, was er möglichst bald zu tun habe, damit Ascha nicht allein zurückbleibt. Es gibt nur diesen einen Weg, für den er noch keinen Namen hat, um zu verhindern, dass sie erst die Vorräte im Haus frisst, alle, auch die schon schimmligen, und aus jeder Pfütze trinkt, dann in ihrer Not anfängt Katzen zu jagen, die aber schneller sind, ihr davonlaufen bis sie aufgibt, schon geschwächt, und als Nächstes heiser kläffend Äste anspringt, auf denen Vögel sitzen. Tage später, nur mehr auf schwachen Beinen, holt sie sich an Igeln eine blutige Nase, und zuletzt lebt sie von Abfällen, stöbert in jeder Tonne, bis sie bloß noch im Schatten liegt und sich zu Tode hechelt, zu ihrem Anfang in der Asche zurückkehrt, ein Häuflein aus Fell und Knochen.

Info  Bodo Kirchhoff. Seit er sein Leben mit einem Tier teilt, dtv, 384 S., 24 Euro

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert