Brunetti und die Roten Brigaden

1. August 2023

„Wie die Saat, so die Ernte“ heißt Donna Leons neuester Brunetti-Roman, der sich schon seinen Platz auf der Spiegel-Bestsellerliste gesichert hat. Dabei hat es Donna Leon schon längst aufgegeben, ihren Commissario Brunetti auf die übliche Art ermitteln zu lassen. Sind ihre Krimis schon lange viel mehr als Kriminalromane, sie sind Gesellschaftskritik, Zeitbild und Familienroman. Denn die Lesenden begleiten den Commissario auch beim Älterwerden. Und je älter er wird, umso mehr erinnert er sich an seine Jugend.

Blick zurück

So erfährt man von Buch zu Buch mehr über den Commissario, der sich mit Paolo in die höheren Kreise Venedigs eingeheiratet hat. Dass Brunetti aus kleinen Verhältnissen stammt, weiß man inzwischen. Dass er seine Mutter sehr geliebt hat, auch. Doch wie verlief seine Jugend in den revolutionären Zeiten der Roten Brigaden?

Die Zeit der Roten Brigaden

Antwort darauf gibt der  Donna Leon in diesem Roman. Am Anfang steht ein toter Mann aus Sri Lanka, den Brunetti anlässlich einer Immobilien-Recherche kennengelernt hat. Er wurde erstochen. Auf der Suche nach dem Täter – die Schwere der Verletzungen deutet auf einen Mann hin – stößt Brunetti in der Wohnung des Toten auf ein Konvolut von Zeitungen aus der Zeit der Roten Brigaden. Erinnerungen kommen auf an Attentate, Entführungen, Ermordungen. Aber wie hängt das alles mit dem Mann aus Sri Lanka zusammen?

Terror-Netzwerk von einst

Inesh hatte im Gartenhaus eines Palacio Zuflucht gefunden. In dem verwitterten aber  repräsentativen Gebäude in einem heruntergekommenen Garten residiert ein Professor, der sich um einen Adelstitel bemüht und mit einer Schulfreundin Brunettis verheiratet ist. Während der Commissario die alten Zeitungen studiert und sich an die eigenen Irrwege in seiner Studentenzeit erinnert, kommt die kluge Signorina Elettra einem terroristischem Netzwerk aus jener Zeit auf die Spur. Unter den Namen befindet sich auch der des Professors.

Die Familie in der Nebenrolle

Baustein für Baustein setzt Brunetti mit Hilfe der Kollegin Griffoni und des unermüdlichen Vianello die Verdachtsmomente zusammen. Am Ende ist es ein Hund, der dem Täter zum Verhängnis wird. Doch bis alles aufgeklärt ist, erleben die Lesenden einen grübelnden, auch verunsicherten Brunetti, der sich intensiv mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Paola und die Kinder müssen sich diesmal mit einer Nebenrolle begnügen.

Melancholischer Krimi

Und, wie so oft bei Donna Leon, ist das Ende eher unbefriedigend, dafür realistisch. Die Gerechtigkeit sucht sich andere Wege als die der italienischen Justiz.
„Wie die Saat, so die Ernte“ ist ein eher leiser, melancholischer Krimi, in dem wohl auch die Wehmut der 80-jährigen Autorin mitschwingt. Es gibt spannende Momente, aber der Spannungsbogen hängt zwischendrin eher durch. Doch wer Brunetti mag, wird auch seinen zweiunddreißigsten (!) Fall mögen – nicht zuletzt, weil man dem Commissario so nahe kommt wie selten.

Hineingelesen…

… in Brunettis Jugenderinnerungen

Wie vertraut ihm der knallrote Schriftzug war! Ohne Standa hätte seine Mutter ihre Söhne nicht großziehen können. Lebensmittel und Getränke gab es hier, auch wenn ihre Jungend meist Leitungswasser tranken. Darüber hinaus aber führte das Kaufhaus Kleidung: Brunettis erste Jeans war von Standa, ebenso seine ersten Turnschuhe. Er erinnerte sich noch, wie prächtig es sich angefühlt hatte, mit nackten Füßen in diese weeichen Leinwandschuhe mit den federnden Gummisohlen zu fahren.
Er schloss die Augen und dachte an Baumwollunterwäsche, an seine ersten Kaschmirpullover, ein Geschenk seiner Mutter, nachdem er das liceo mit Bestnote abgeschlossen hatte und Jura studieren konnte.
Der Pullover war mittelgrau – genau wie das Haar seiner Mutter zu der Zeit; er hatte einen runden Ausschnitt, war warm und weich und bedeutete für den jungen Brunetti einen Schritt nach vorn, auch wenn er noch nicht ahnte, in welche Richtung. Nach all den Jahren besaß er den Pullover immer noch und trug ihn nicht nur im Urlaub zum Wandern, sondern manchmal auch im Haus, der hellen Freude eingedenk, mit der er das Geschenk ausgepackt und dann zum ersten Mal Kaschmir auf der Haut verspürt hatte.

Info  Donna Leon. Wie die Saat, so die Ernte, Diogenes, 315 S., 26 Euro

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