Es ist Sommer in der Stadt, und Odessa, die Schönheit am Schwarzen Meer, verspricht ein besonderes Lebensgefühl. Davon erzählt Irina Kilimnik im Roman „Sommer in Odessa“. Die Ich-Erzählerin Olga lebt mit Mutter, Tanten und Cousinen in einer zusammengestückelten Wohnung, typisch für das alte Odessa. Wo‘s lang geht, bestimmt der Großvater, der Töchter und Enkelinnen schikaniert.
Die schönste Stadt der Welt
Olga hat schon längst die Nase voll von seiner herrischen Art und der Ergebenheit der Frauen. Ihr Medizinstudium, das sie auf Wunsch der Familie begonnen hat, kotzt sie an. Wäre da nicht der indische Freund Radj hätte sie es schon längst an den Nagel gehängt. Aber da ist auch noch die „beste Freundin“ Masha, charmant und flatterhaft, die Olga immer wieder mit neuen Plänen und neuen Männern überrascht. Und natürlich Odessa mit seinen Stränden und der quirligen Altstadt. „Die schönst Stadt der Welt“, sagt Mascha plötzlich. „Ich weiß nicht, ob ich hier weggehen soll, die Vorstellung macht mich irre.“
Alte Liebe
Kurz flammt die alte Liebe wieder auf, als Sergej, der Traummann aus Kindertagen, wieder zurück aus Deutschland ist. Der begabte Pianist sähe Olga am liebsten als Musikerin, was ihr Selbstverständnis erschüttert. Auch zu Hause geht es drunter und drüber.
Schatten des Krieges
Doch so richtig durchgeschüttelt wird der Frauenhaushalt, als Opas Freund David auftaucht. Was will der Onkel aus Amerika wirklich? Was ist sein Geheimnis? Die Frauen vergehen vor Neugier, der Großvater vor Verdruss. So plätschert Olgas Leben vor sich hin. Vom Krieg ist noch keine Rede, und doch wirft er seine Schatten voraus. Sorgt für Unfrieden in Familien, zerstört Freundschaften.
Olgas Emanzipation
Es dauert, bis Olga sich aufrafft, aus dem fremdbestimmten Leben auszusteigen. Zum Teufel mit dem Medizinstudium, zum Teufel auch mit der Musikkarriere, die Sergej für sie erträumt. In diesem Sommer, in der die Datscha der Familie verbrennt und Opas Geheimnis ans Licht kommt, wird sie endlich erwachsen.
Aus einer verlorenen Zeit
Irina Kilimnik erzählt aus einer verlorenen Zeit im bedrohten Odessa, einer Zeit voller Unbeschwertheit und sehnsüchtigen Träumen. Sie verleiht der wankelmütigen Olga eine glaubwürdige Stimme, voller Witz und Wehmut, der man die Liebeserklärung an ihre Stadt gerne abnimmt: „Die Menschen zieht es zum Meer, an die Stadtstrände oder weiter raus, um den Touristen zu entfliehen. Und während die Wellen an den Felsen in kleine Wasserperlen zerbrechen, ahnt man leise, was Glückseligkeit bedeutet. Meistens bleiben die Odessiter ihrer Stadt lebenslang treu. Manchmal müssen sie aber woanders hinziehen, und es bricht ihnen das Herz.“
Info Irina Klimnik. Sommer in Odessa, Kein & Aber, 286 S., 24 Euro
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