Nein, eine gemeinsame Sache ist diese Familie Garrett, von der Anne Tyler im gleichnamigen Roman erzählt, eher nicht. Das wird schon früh klar, als die Tochter Alice beim Badeurlaub feststellt: „Der Unterschied zwischen dieser Szene und den Szenen in den französischen Gemälden lag darin, dass die Menschen auf den Bildern ei gemeinsamen Unternehmungen dargestellt waren, bei Picknicks oder Bootsfahrten, während hier jeder für sich blieb… Ein Passant hätte niemals gedacht, dass sich die Garretts überhaupt kannten, so allein und weit voneinander entfernt wirkten sie.“
Allein statt gemeinsam
Über 60 Jahre Familiengeschichte erzählt Anne Tyler, von 1959 bis ins Corona-Jahr 2020. Im Zentrum stehen Robin und Mercy und ihre drei Kinder Alice, Lily und David. Nach außen eine glückliche Familie, nach innen voller Konflikte, die nicht ausgesprochen werden. Auch als Mercy aus dem gemeinsamen Heim ausgezogen ist, fragt niemand nach. Alle tun so, als wäre alles wie immer. Und vor allem Robin ist glücklich, dass er nichts erklären muss: „Kein einziges seiner Kinder ahnte, dass Mercy nicht mehr zu Hause wohnte. Das war die größte Errungenschaft in Robins Leben.“
Das Erbe der Eltern
Dass die Familienmitglieder nebeneinander her leben, setzt sich fort bei den Kindern und Kindeskindern, die Anne Tyler später auch noch begleitet. Nichts wird wirklich ausgesprochen, weder die eigenen Probleme noch etwaige Kritik an den jeweiligen Partnern. Hat die Autorin die Charaktere von Mercy und Robin noch detailliert gezeichnet und dabei auch angedeutet, welche Folgen frühe Entscheidungen und Erlebnisse auf das spätere Leben haben können, widmet sie den Nachkommen und ihrem Lebensalltag weniger Aufmerksamkeit. Manche wirken wie Abziehbilder ihrer Vorfahren.
Blick zurück in Melancholie
Und doch folgt man fasziniert Tylers feinsinniger Verknüpfung dieser losen Familien-Fäden: Mercys stillschweigende Selbstverwirklichung, Lilys Verbürgerlichung, Davids Ausbruch. Alles wichtig und doch so schnell vorbei wie die Filme, die Robin zur Goldenen Hochzeit digitalisieren hat lassen. Ein Blick zurück in Melancholie. Anne Tyler hat ein gutes Gespür für Zwischentöne. Ihre Garretts sind eine ganz normale Mittelstandsfamilie, deren Probleme vielen Lesenden bekannt vorkommen dürften.
Info Anne Tyler. Eine gemeinsame Sache, übersetzt von Michaela Grabinger, Kein & Aber, 352 S.,
26 Euro
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