Das Schweigen der Dörfler

24. März 2022

Massimo Carlotto ist nicht nur einer der bekanntesten italienischen Kriminalschriftsteller, er kennt sich auch aus im Milieu. War er doch selbst für längere Zeit Häftling, ehe er vom Präsidenten begnadigt wurde. Das hat seine Einstellung gegenüber der wuchernden Kriminalität im Land der Mafia geprägt. Auch der neue Roman „Und es kommt ein neuer Winter“ ist Ausdruck seiner Skepsis, dass sich daran etwas ändern könnte.

Außer Kontrolle

Der erfolgreiche Immobilien-Unternehmer Bruno Manera aus der Stadt ist nach der Heirat mit der wesentlich jüngeren Federica in ihr Dorf gezogen. Doch dort wird er nie Wurzeln schlagen. Nicht nur die alteingesessene Familie seiner Frau lehnt ihn ab, das ganze Dorf ist gegen ihn. Die vom Liebhaber seiner Frau geplante und bezahlte „Abreibung“ gerät außer Kontrolle.

Tödliche Kastanien

Dem ersten Mord folgen weitere. Und das Dorf hüllt sich in verhängnisvolles Schweigen. Jeder und jede könnte Täter sein, hätte ein Motiv. Auch der örtliche Maresciallo hat kein echtes Interesse an einer gründlichen Aufklärung. Dass es am Ende doch noch den lange unauffälligen Strippenzieher erwischt, hat mit einer Frau zu tun, die ihre Familie retten will. Und mit „Marrons glacés“, eingelegten Esskastanien.

Minimalistischer Stil

Dass der Genuss dieser aufwändig hergestellten Spezialität tödliche Folgen haben kann, wird im Roman früh angedeutet. Trotzdem ist das Ende überraschend. Doch es ändert nichts an der scheinbar für die Ewigkeit festgelegten Gesellschaftsordnung. Wer sie stört, muss verschwinden. Wie immer schildert Carlotto in der Manier des Roman noir, der Stil ist lakonisch, mitunter ungewohnt minimalistisch. Carlotto kommt ohne Umschweife zum Kern seiner Geschichte, einer kranken Gesellschaft, in der die Moral ausgedient hat.

Hineingelesen…

… in Federicas Gedanken

Zum Glück hatten die Turbulenzen um Bruno einen Grund geliefert, sich von ihm zu trennen. Aber Stefano hatte sie gewarnt. Manera musste in der Vergangenheit jemandem auf die Füße getreten sein und „zudem zirkuliert in diesem Gewerbe viel schmutziges Geld, das sicher nicht aus ehrlicher Arbeit stammt“. Später wurde dieses Gerücht von Maresciallo Piscopo bestätigt, der wegen Brunos Geschäftsreisen nach Mexiko und der mittelamerikanischen Herkunft seiner ersten Frau eine Verbindung zu den dortigen Drogenbossen konstruiert hatte. Während ihrem Mann im Krankenhaus die Kugeln aus dem Körper entfernt und die Knochenbrüche zusammengeflickt wurden, hatte Piscopo angedeutet, dass „der Manera“ sie nur geheiratet hatte, um sich hinter ihrem guten Namen zu verstecken und in ein einsames Tal zurückzuziehen, in dem es kaum Kriminalität gab.
Stefano, ihre Familie und ihre Freunde waren sich einig: Diesen Verbrecher sollte man am besten seinem Schicksal überlassen. Natürlich erst, nachdem sie ihn finanziell ausgenommen hatte. Als materielle und moralische Wiedergutmachung für die Gefahr, der er sie ausgesetzt hatte. Stefano hatte sich mit dem von Federica beauftragten Scheidungsanwalt getroffen, um die Forderungen auf der Basis von Brunos Vermögen zu beziffern.
Dem Rat des Anwalts folgend hatte Federica es abgelehnt, in ihr Elternhaus zu ziehen, obwohl sie die Anwesenheit ihres Mannes nicht mehr ertrug, sonst hätte man sie womöglich beschuldigen können, ihrem Mann während seier Rekonvaleszenz im Stich gelassen zu haben. Sie musste sich auf ein langes und herausforderndes Scheidungsverfahren einstellen,denn Bruno Manera würde sicherlich alle Hebel in Bewegung setzen und renommierte Anwälte mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragen.
Doch nachdem sie dieses verdammte Notizbuch gelesen hatte, war die Situation eine andere. An Federica nagte der Zweifel. Konnte es sein, dass ihr Mann doch unschuldig war?

Info Massimo Carlotto. Und es kommt ein neuer Winter, Folio, 220 S., 22 Euro

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