Wer kennt sie nicht, die stillen Helferinnen in den (fast) leeren Wohnungen? Ohne die Polinnen oder Rumäninnen, die monatelange ihre Familie gegen einen zu pflegenden Alten oder eine Alte eintauschen, wären viele Familien überfordert. Marco Balzano hat sich in seinem neuen Roman „Wenn ich wiederkomme“ dieser Frauen angenommen, die auch in Italien unabkömmlich sind. Es ist eine dreistimmige Abrechnung mit unserer Gesellschaft geworden, die ihr Wohlleben auf die Ausbeutung anderer gründet.
Verwaiste Familie
Die Rumänin Daniela hat einen Taugenichts als Mann und zwei heranwachsende Kinder. Um ihnen ein besseres Leben zu sichern, stiehlt sie sich heimlich aus dem Haus und geht sie als ungelernte Altenpflegerin nach Italien. Die verlassene Familie muss sich neu organisieren, und tut sich damit schwer. Sohn Manuel fühlt sich von der Mutter verraten, Tochter Angelica von der neuen Mutterrolle, in die sie zwangsweise schlüpft, überfordert. Der Vater flieht in einen Job als LKW-Fahrer. Schließlich übernehmen die Großeltern die Erziehung des Jungen. Das geht gut, bis der Großvater stirbt – und Manuel in einem existentiellen Nirvana zurück lässt.
Marco Balzano lässt erst den Jungen aus seiner Perspektive erzählen und erteilt dann der Mutter das Wort, die ihr schlechtes Gewissen kaum beruhigen kann. Nachdem Manuel als Folge eines Unfalls ins Koma fällt, gibt sie sich auch daran die Schuld. Dabei ist ihr Leben in Italien alles andere als einfach.
Zermürbende Aufgaben
Der erste Alte ist dement und fordert fast rund um die Uhr ihre Aufmerksamkeit. Eine zermürbende Aufgabe, aus der sie sich durch Flucht in die Kinderbetreuung rettet. Doch auch da wird sie vom Pech verfolgt, als sie einen Badeunfall der ihr anvertrauten Kinder nicht verhindern kann. Ihre nächste Kundin ist alt, fordernd und schwer, aber Daniela kann sich als Teil der Familie fühlen, bis der Sohn, ein Arzt, seine alte Mutter in ein Pflegeheim abschiebt.
Der Preis ist zu hoch
Die letzte Stimme gehört Angelica, der Tochter, die sich trotz aller Vorbehalte doch noch dazu durchringt, die Mutter verstehen zu wollen.
„Den ausgewanderten Frauen gelingt es zwar meist, die wirtschaftliche Lage der Familie zu verbessern“, schreibt Marco Balzano in einer Nachbemerkung. „Doch der Preis, den sie dafür auf emotionaler Ebene zahlen, ist hoch: weil das Fortgehen die eigene Identität verändert und vor allem, weil es Mütter und Kinder einander entfremdet.“ In seinem Roman hat er diesen Preis aus drei unterschiedlichen Perspektiven näher betrachtet und deutlich gemacht, dass „unser Leben ohne Verzicht“ zu teuer bezahlt ist.
Hineingelesen…
… in Danielas Probleme
Um mir Mut zu machen, rief ich mir immer wieder meine privilegierte Lage ins Gedächtnis, doch es war nicht genug, ich schaffte es nicht, aufzustehen. Ich fühlte mich verbraucht, meine Haut juckte und schuppte sich, selbst im Schlaf musste ich mich dauernd kratzen.
„Geh zur medizinischen Sprechstunde und lass dich untersuchen“, hatte Clarissa mir geraten, aber ich schob es immer wieder auf.
Es dauerte zwanzig Tage, bis ich mich einigermaßen erholt hatte. Sobald ich mich besser fühlte, begann ich von Büro zu Büro zu tigern, las die Stellenanzeigen, die am Schwarzen Brett von Bibliotheken oder an Laternenpfosten hingen. Stundenlang surfte ich auf den Pflegeportalen und lud alle möglichen Apps herunter, ackerte sogar die Inserate aus anderen Regionen durch. Mailand hatte ich satt, dauernd verlief ich mich dort und kannte keinen. Ab und zu traf ich im Park eine Ukrainerin, und wir radebrechten ein wenig auf Russisch, aber Vertrautheit lässt sich so nicht herstellen. Vielleicht finde ich ja eine alte Dame, die am Meer lebt und nur jemanden braucht, der sie am Strand auf und ab führt, hoffte ich, und in der salzigen Luft erholen wir uns beide. Inserate, in denen Kindermädchen gesucht wurden, sortierte ich gleich aus. Das würde ich nie wieder tun. Lieber die Alten mit ihren Ticks, ihren Launen, ihrem Gejammer, ihrem Leben, das nur noch ein Überleben ist. Vom Hautgeruch der Kinder, von dem Beschützerinstinkt, den sie auslösen, wollte ich nichts mehr wissen. So oft vernahm ich in meinem Kopf Olivias Lachen, und es kam mir vor, als hörte ich die Stimme Gottes.
Ich ging in Zeitarbeitsfirmen und Kooperativen, doch ständig Formulare auszufüllen und langwierige Gespräche zu führen überstieg meine Kräfte. Unbeholfen war ich, und auch wenn ich mich problemlos auf Italienisch verständigen konnte, wirkte ich wie eine , die gerade erst neu in der Stadt gekommen war. Ich wollte wieder schwarzarbeiten, da war ich wenigstens niemandem Rechenschaft schuldig, konnte mehr Geld nach Haus schicken und alles stehen und liegen lassen , sobald ich etwas Besseres fand. Eine Zukunft konnte ich mir nicht mehr vorstellen.
Info Marco Balzano, Wenn ich wiederkomme, Diogenes, 312 S., 22 Euro
2 Comments
Liebe Lilo,
der Autor heißt bAlzano.
🙂
Liebe Grüße, Susanne
Hab’s geändert. Danke für den Hinweis, Susanne!