Buwaldas tollkühne Höllenfahrt

23. Juni 2021

Otmars Söhne – das sind Dolf, das Wunderkind, und Dolf, der Sohn seiner zweiten Frau, der alsbald in Ludwig umgetauft wird. „Otmars Söhne“ ist auch der Titel des ersten Teils einer Romantrilogie von Peter Buwalda. Ein 600 Seiten starker, wuchtiger Einstieg, an dessen Ende völlig unklar ist, wie es mit Otmars Söhnen weitergeht.

Der Stiefsohn und die Wunderkinder

Stiefsohn Ludwig jedenfalls hat Glück mit Otmar, der stundenlang mit ihm Flugzeuge zusammenbastelt. Die beiden anderen Kinder, Dolf und Tosca, beides musikalische Genies, haben weniger Glück. Sie werden auf Erfolg programmiert.
Mit dem arroganten Dolf kann Ludwig wenig anfangen, näher fühlt er sich der aufmüpfigen Tosca, die unbewusst seinen jugendlichen Sextrieb stimuliert. Dass er später an vorzeitigem Samenerguss leidet, macht seine Beziehung zu Frauen schwierig.

Verlogene Lebenskonstrukte

In der eher reizlosen Juliette glaubt er, endlich eine Partnerin fürs Leben gefunden zu haben. Doch das Konstrukt dieser Ehe ist ebenso verlogen wie Ludwigs Engagement beim Energieriesen Shell. Als er auf er russischen Halbinsel Sachalin auf den skrupellosen aber charismatischen Johan Tromp, CEO von Sakhalin Energy, stößt, ist er überzeugt davon, seinen leiblichen Vater gefunden zu haben.

Ein Manager unter Verdacht

Von der wölfischen Macht des Managers ist Ludwig abgestoßen und fasziniert zugleich. Da geht es ihm wie seiner früheren Mitbewohnerin, der attraktiven Journalistin Isabelle, die Tromp auf sehr unkonventionelle Art aushorchte, um ihm mit einem Artikel das Handwerk zu legen.
Und während Dolf davon träumt, ein neuer Beethoven zu werden, schlägt sich Ludwig mit der Frage herum, ob er diesen Tromp mit seinem Vater-Verdacht konfrontieren soll…

Zeitsprünge und Perspektivwechsel

Es sind fast zu viele Personen, die Buwalda in diesem ehrgeizigen Romankonglomerat versammelt hat, fast zu viele Ideologien, fast zu viel Gesellschaftskritik. Dazu kommen der Perspektivenwechsel zwischen Ludwig und Isabelle und die vielen Zeitsprünge. Die Lesenden müssen schon höllisch aufpassen, dass sie in diesem rasanten Höllenfahrt nicht den roten Faden verlieren.

Marquis de Sade lässt grüßen

Und dann noch der Sex, der nicht nur bei Ludwig eine so entscheidende Rolle spielt, sondern auch bei Tromp, dem am Großmeister de Sade geschulten Sadisten. Es sind ziemlich schaurige Szenen, die Buwalda da ausmalt. Wofür sie stehen? Womöglich für den Überdruss an unserer Welt der Satten, die nur durch skrupellose Ausbeutung der Ärmsten funktionieren kann.
Vielleicht erklärt der Folgeband „Der Jasager“ mehr. Womöglich muss man aber auch auf den letzten Band „Hysteria Siberiana“ warten. Bis dahin wird noch viel passieren in diesem grausig-faszinierenden Buwalda-Kosmos.

Hineingelesen…

… in Otmars Sterben

Man habe ihren Mann sofort „aufgegeben“, hörte Ludwig seine Mutter am Telefon zu bekannten sagen. „Es ist natürlich sehr schade“, sagte Otmar zu jedem, der ihn besuchte, „dass ich nicht mehr miterleben werde, wie diese Strerberchen ausfliegen“ – seine glanzlose Stimme zu leise, um von den hohen, früher so beseelten stuckverzierten Decken zurückgeworfen zu werden, die einst Ludwig sein neues Leben verheißen hatten. Alles, was an Otmar rund war, sein Kopf, sein Bauch, die Hände, wurde von Stunde zu Stunde schmaler, eine Auszehrung, die Ludwig kaum mitansehen konnte; die Tränen schossen ihm in die Augen, so beschissen fan er es für seinen Stiefvater, der es wahrscheinlich nicht einmal bis zu seinem fünfzigsten Geburtstag schaffen würde.
Gleichzeitig machte er sich Sorgen über die Zukunft ohne ihn. Seit sein Stiefvater sich dem täglichen Geschehen im Haus entzog und Tosca mit einem Kloß im Hals in New York studierte, fühlte er sich von seiner Mutter und von Dolf in die Enge getrieben. Die jetzt noch unterdrückten Streitigkeiten drehten sich um alles mögliche, vor allem aber um sein Gekiffe nicht nur während der Schulpausen, sondern auch in seinem Zimmer. Dolf beklagte sich über die betäubenden Dämpfe, die durch die Dielenbretter in seine Mansarde aufstiegen, und er behauptete steif und fest, eine Samstagsmatinée in Concertgebouw verpfuscht zu haben, weil er „von Ludwigs widerlichen Drogen benebelt“ gewesen sei und nicht mehr gewusst habe, ob er nun Schumann oder Clayderman spiele, was absoluter Bullshit war, ein Bullshit allerdings, den seine Mutter für bare Münze nahm. In Gegenwart von Dolf nannte sie Ludwig „eine Gefahr für dessen Karriere“.
Otmars Krankenlager dauerte schändlich kurz. Angeleint mit Schläuchen, die aus Beuteln an Ständern in seine Arme führten, sah er ängstlich aus. Jeder im plötzlich still gewordenen Haus sah ängstlich aus. Dolf übte wochenlang nicht, schaute Cartoon Network im Fernsehen, warf wütend sein Metronom in Stücke. Sein Vater verging wie eine fleckige Banane in einem glühend heißen Sommer. Der Mann, auf den sie sich alle gestützt hatten,äußerte pflichtschuldig etwas Optimismus, nichts sei unmöglich, doch als Tosca, aus New York angereist, mit der Geige am Kinn an seinem erhöhten Bett stand, blies er, noch bevor sie anfangen konnte, seinen letzten Atem aus – was sehr gut gewesen wäre, doch dieser Schnaufer erwies sich als Beginn eines wochenlangen Komas.

Info Peter Buwalda. Otmars Söhne, Rowohlt, 600 S., 24 Euro

Keine Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert