Anna Seghers sucht mit ihrer Familie Zuflucht in den USA – wie so viele andere Künstler in der Nazizeit. Doch die Schriftstellerin ist Kommunistin und im Land der unbegrenzten Möglichkeiten unerwünscht. Es ist Mexiko, das Anna Seghers und den Ihren zum Zufluchtsort wird. Spiegel-Kulturchef Volker Weidermann begleitet in seinem Buch „Brennendes Licht“ die Autorin in dieses ihr so fremde, unvertraute Land fern der Heimat und des Krieges.
Episoden aus unterschiedlichen Lebensphasen
Weidermann scheint in diesem Buch nicht über Anna Seghers zu schreiben, sondern aus ihr. Er fühlt sich ein in seine Protagonistin und ihr Leben im Exil, das er nicht chronologisch erzählt, sondern in Episoden, die wie ein Echo aus unterschiedlichen Lebensphasen klingen. Dabei rückt ein Unfall in den Mittelpunkt, der Anna Seghers beinahe das Leben gekostet hätte. Ob es ein Anschlag war, bleibt ungewiss. Aber es war ein Unfall mit Folgen.
Aufflackernde Erinnerungen an andere Zeiten
Die Schriftstellerin musste sich langsam zurück ins Leben kämpfen, besser noch zurückerzählen. Auch von diesem Kampf berichtet Weidermann, lässt Erinnerungen an Kindheit und Jugend in Mainz aufflackern, an alte Freundschaften und fast schon vergessene Schicksale. Fünf Jahre lebt Anna Seghers in Mexiko, hier begegnet sie Diego Rivera, dem hässlichen Hünen und bewundertem Star der Kunstwelt – von dessen Frau Frida Kahlo ist bei Seghers aber keine Rede. Dafür viel von den europäischen Freunden, die der Krieg aus Europa vertrieben hatte.
Künstlerfreunde und literarischer Erfolg
Ein Fest für den Literaturfreund Weidermann, der sich über Egon Erwin Kisch ebenso auslassen kann wie über Malcolm Lowry und seinen großartigen Roman „Unter dem Vulkan“. Auch Anna Seghers selbst ist plötzlich berühmt. Ihr Roman „Das Siebte Kreuz“ wird für US-Soldaten Pflichtlektüre. Doch im Privaten ist der überzeugten Kommunistin kein Glück beschieden. Hin und hergerissen zwischen dem Glauben an die Partei und den Einzelschicksalen der Freunde, sucht sie ihren eigenen Weg.
Hymne auf die Freiheit und auf Mexiko
Trotz Weidermanns großem Einfühlungsvermögen, trotz der Nähe, die er zeitweilig suggeriert, bleibt diese Frau ein Rätsel, kühl und unnahbar – vielleicht indoktriniert und doch auch bewundernswert. Dieses Buch ist nicht nur eine Biographie, es ist auch eine Hymne auf die Freiheit und auf die Farben von Mexiko und seiner Kunst.
Hineingelesen…
… Volker Weidermanns Spurensuche
So ist das mit den spuren der Literatur in der Wirklichkeit. Sie sind flüchtig, unsichtbar, sie sind in uns, den Leserinnen und Lesern. Anna Seghers hat in Mexiko keine sichtbaren Spuren hinterlassen. Keine Gedenktafel erinnert an sie. Sie hat keinen Baum gepflanzt, soweit wir wissen, kein Haus gebaut. Drei Tauben hatte sie, oben auf ihrer Schreibterrasse in der Avenida Industrial in Mexico City, hat sie mal geschrieben. Wie lange leben Tauben?
Ich sehe den Palast, den sie gesehen hat, oen von einem Balkon des Hotels Casa Hidalgo herab, ich sehe den kleinen Kiosk, den Gustave Eiffel hier erbaut hat, als er noch keine Türme bauen durfte. Ich sehe den großen melancholischen Garten, in dem der mexikanische Kaiser Maximilian auf den Tod wartete. Ich sehe das kleine Hotel Bajo el Volcan mit dem weißen Turm, in dem Malcolm Lowry Unter dem Vulkan schrieb…
Mexiko hat Anna Seghers und viele andere Flüchtlinge, die kein Land der Welt sonst aufnehmen wollte, aufgenommen, damals. Anna Seghers und ihre Familie haben hier einen Zufluchtsort gefunden, eine Heimat nicht. Anna Seghers ist hier ein Weltstar der Literatur geworden, eine laut und wiet über Landesgrenzen hinweg hörbare Stimme der Hoffnung im Kampf gegen den Faschismus. Eine Geschichtenerzählerin, deren Geschichten von universeller Kraft und Verständlichkeit sind. Anna Seghers wäre in Mexiko beinahe ums Leben gekommen. Beinahe hätte sie ihren Verstand verloren, ihr Gedächtnis…
Sie hat das Land hier geliebt. Sie wusste lange vor ihrer Rückkehr, dass sie sich schon bald zurücksehnen würde. Fernweh. Sehnsucht nach diesem Zufluchtsort.
Info: Volker Weidermann. Brennendes Licht – Anna Seghers in Mexiko, aufbau, 186 S., 18 Euro
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