Salman Rushdie ist ein großartiger Geschichtenerzähler, ein belesener Mann, ein kritischer Zeitgenosse. Das alles spielt mit rein in seinen ausufernden Roman Quichotte. Auf 460 Seiten entwickelt der in Indien geborene Autor eine Geschichte, in der Reales mit Fiktionalem, Paranoisches mit Zukünftigen verschmilzt. Die Leser fühlen sich wie in einer Geisterbahn, die noch dazu Achterbahn fährt. Die Loopings sind Zeitsprünge, die den Leser manchmal ebenso überfordern wie die vielen Anspielungen auf Literatur, Kino und TV.
Alles erfunden
Dies ist kein Buch für Eilige, auch keines, das sich als Bettlektüre eignet. Rushdie fordert seine Leser, will sie zum Nachdenken zwingen, indem er ihnen eine unmögliche Erzählung auftischt. Der Autor erfindet einen – erfolglosen – Serienautor, der einen Helden erfindet, der sich wie einst Don Quichotte auf eine Quest begibt, um die Liebe seines Lebens, einem Reality-Show-Star zu erobern. Dabei wird er von seinem – erfundenen – Sohn Sancho unterstützt. Alle diese erfundenen Figuren sind indischen Ursprungs wie ihr ursprünglicher Autor und alle haben wohl etwas mit ihm gemein.
Eine Abrechnung mit dem „Land der Freien“
Im Lauf der wild wuchernden Geschichte entwickeln sie ein Eigenleben, Erfahrungen und Erlebnisse werden mehrfach gespiegelt. Diese Dopplungen fordern viel Aufmerksamkeit. Denn Rushdies mitreißender Tanz zwischen Sein und Schein, Magie und Realität darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies auch eine scharfsinnige Abrechnung mit der Gegenwart ist und da mit dem „Land der Freien“, den USA: Rassismus, Opioid-Krise, Fake-News, ein Präsident, der Lügen salonfähig macht… Rushdie lässt nichts aus. Aber auch der erstarkende Hindu-Nationalismus in Rushdies Geburtsland Indien wird thematisiert.
Was ist Realität?
Und nebenbei bleibt noch Platz für irrwitzige Fantastereien à la Ionesco, für Science-Fiction- und Fantasy-Visionen. Die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen wie im großen Vorbild: „Streit, Versöhnungen…. Wieder die schwindelerregende Vermischung von Realem und Imaginiertem. Ein Dritter, der diese Schilderungen liest, könnte an einem bestimmten Punkt daraus schließen, dass beide fiktional seien, dass Bruder, Schwester und Sohn ebenso wie Quichotte, Salma und Sancho Fantasieprodukte seien. Dass das Leben des Autors ein Fake sei, genau wie sein Buch.“ Letztlich stellt sich die Frage: Leben wir oder imaginieren wir nur, dass wir leben? Was unterscheidet uns von Quichotte, dem Träumer?
Info: Salman Rushdie, Quichotte, C. Bertelsmann, 461 S., 25 Euro
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