Trügerische Erinnerung
Rezensionen , Romane / 12. September 2024

Wie sicher können wir uns unserer Erinnerungen sein? Was machen wir uns vor? Was haben wir uns aus Erzählungen zusammengereimt? Auch darum geht es im Debüt von Sarah Easter Collins. Schon der Titel „So ist das nie passiert“ warnt davor, dem, was hier berichtet wird, blind zu vertrauen. Schließlich könnte alles auch ganz anders gewesen sein. Die verschwundene Schwester Klar ist, dass Willas kleine Schwester Laika mit 13 Jahren spurlos verschwunden ist und dieser Verlust Willa ein Leben lang begleitet. Im Internat lernt sie Robyn kennen, die ihr eine verständnis- und liebevolle Freundin wird. Aber auch ihr kann sie nicht alles erzählen, was sie bedrückt. Von der kleinen Schwester, die so ganz anders war als sie selbst: wild und respektlos. Vom autoritären Vater, der nicht nur Laika disziplinieren will sondern die ganze Familie. Verschiedene Leben Es gibt viele Vermutungen nach dem Verschwinden Laikas – auch der Vater gerät in Verdacht. Als „niederträchtig“, ja „tollwütig“ empfindet Willa die Medien, die nach Laikas Verschwinden das Haus belagern. Die Vergangenheit lässt sie nicht los, sie sucht ihre Schwester in aller Welt – vergeblich. So vergehen die Jahre. Robyn ist inzwischen mit Cat verheiratet, die Frauen haben zwei Kinder. Und Willa hat einen Verlobten,…

Gute Wünsche, böse Gedanken
Rezensionen , Romane / 11. September 2024

Eva Rossmann ist Verfassungsjuristin und politische Journalistin. Für ihre Krimis mit der Wiener Journalistin Mira Valensky und deren aus Bosnien stammende Freundin und ehemalige Putzfrau Vesna Krajner wurde sie mehrfach ausgezeichnet, 2024 mit dem Österreichischen Krimipreis. Der neue Krimi „Alles Gute“ dreht sich um eine App gegen die Spaltung der Gesellschaft. Nichts Gutes für den Erfinder Klingt doch gut. Wer würde sich so ein Tool nicht wünschen? Gerade in der heutigen Zeit mit den tiefen Gräben im Volk. Doch dem Erfinder, dem Geschichtslehrer Peter Gruber, hat die App „LISA wünscht alles Gute“ nichts Gutes gebracht. Das Strichmännchen seiner kleinen Nichte Lisa hat zwar jede Menge Menschen dazu animiert, die App runterzuladen und ihn damit reich gemacht. Aber nun fühlt sich Gruber verfolgt. Angst vor den Folgen Der Mann, der im Unterricht immer wieder auf die Parallelen zwischen der heutigen Zeit und den Dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hingewiesen hat, hat Sorge, dass seine App von geldgierigen Internet-Firmen missbraucht werden könnte – um Daten abzugreifen. Und dass skrupellose Geschäftemacher sich womöglich auch an seiner kleinen Nichte vergreifen. Hass und Milliarden-Geschäfte Gruber bittet  Mira  und  Vesna um Hilfe. Die beiden verstehen zunächst nur Bahnhof. Aber dann verschwindet der Lehrer und Mira und…

Reinhold Messner und wie er sein Leben sieht
Allgemein , Reisebücher , Rezensionen / 9. September 2024

Ist das das Buch zum 80. Geburtstag? Am 17. September kann Reinhold Messner seinen runden Geburtstag feiern. Am 29. August ist „Gegenwind“ im Malik Verlag erschienen, ein Buch, das „vom Wachsen an Widerständen“ erzählt. Und Widerstände hatte der Südtiroler sein Leben lang, ist er doch privat und beruflich eher kompromisslos. „Die Freiheit, aufzubrechen, wohin ich will“ – so auch der Titel seiner ersten Biographie – begleitete ihn bei all seinen Unternehmen – ob an den Achttausendern dieser Welt oder bei seinem Museumsprojekt. Selbstvertrauen durch die Mutter Parallel dazu erlebte er von Anfang an Widerstände, wurde angefeindete, ausgegrenzt, diffamiert. Dass er daran gewachsen statt gescheitert ist, hat er seiner Mutter zu verdanken, schreibt er. „Sie hat mir das Selbstvertrauen geschenkt, das mich 80 Jahre überleben ließ.“ Und dieses Überleben war nicht immer leicht. Am schwersten wohl am Nanga Parbat, wo der junge Messner seinen Bruder Günther verlor – das Trauma seines Lebens. Denn schnell stand der Vorwurf im Raum, Reinhold Messner habe den geschwächten Bruder seinem eigenen Ehrgeiz geopfert. Das Schicksal des Bruders In seinen Büchern versuchte der Autor immer und immer wieder, diesen Vorwurf zu entkräften. Er überwarf sich mit dem Deutschen Alpenverein, stritt sich mit ehemaligen Bergkameraden und Journalisten…

Kunst und Schicksal
Rezensionen , Romane / 9. September 2024

Alard von Kittlitz ist ein Sprach-Virtuose und ein scharfsinnige Beobachter. Man liest gerne seine eleganten Sätze, lässt sich auch hineinziehen in Diskussionen, die vor bemühter Intellektualität strotzen. In seinem neuen Roman „Kismet“ geht es um ein Paar, das vor allem um sich selbst kreist. Die Jurastudentin Johanna fühlt sich schicksalhaft zu dem armenischen Maler David hingezogen, dessen rätselhaftes Gemälde sie in Bann geschlagen hat. Gegenseitige Abhängigkeit Die beiden ungleichen Mittzwanziger kommen auch zusammen, aber es wird eine äußerst schwierige Beziehung, die lange unter einem Mangel an sexueller Nähe krankt. Beide haben Verletzungen davon getragen, die sie vor dem jeweils anderen verbergen. Alard von Kittlitz erzählt aus der Perspektive von Johanna, wie sich die Beziehung  zwischen Berlin, Ibiza und New York zu einer gegenseitigen Abhängigkeit, ja zu einer Obsession entwickelt. Zelebrierte Außergewöhnlichkeit Johanna leidet unter Davids Besitzanspruch, unter seiner Aggressivität und fordert sie doch immer wieder heraus.  Die beiden können nicht miteinander, sie können aber auch nicht von einander lassen. Johanna vernachlässigt Familie und Freunde, um diese außergewöhnliche Beziehung zu zelebrieren, auch wenn sie immer wieder Zweifel daran hat, dass sie ihr guttut. Abgründe in Bergkarabach Die abgründige Liebe ist das Zentrum des Roman. Daneben geht es auch um den Kunstmarkt…

Ode an die Natur
Reisebücher , Rezensionen / 9. September 2024

Schon als Teenie hat Anais Barbeau-Lavalette davon geträumt, in der kanadischen Wildnis zu leben: „Im Tal dem Winter trotzen, mein eigenes Holz hacken, Brot backen und mit den Blumen sprechen, die treu jedes Jahr wiederkehren.“ Als die Covid-Pandemie die Welt heimsucht, kehrt sie mit Mann, drei Kindern und einer befreundeten vierköpfigen Familie an den Sehnsuchtsort ihrer Kindheit zurück – in eine marodes Haus, das sie geerbt hat und mit dem sie die schönsten Erinnerungen verbindet. Einst und jetzt Jetzt sind da die Kinder, die sich auf ihre Art die Natur zu eigen machen. Jetzt ist da die Pandemie, die wie ein Damoklesschwert über der Zukunft hängt und den Mann in die Depression stürzt. Jetzt ist da der japanische Maler und eine bisher nie gekannte Art der Liebe. Und dann ist da noch die Weiße Frau, so spooky, dass Gäste das Haus fluchtartig verlassen. Erstickende Situation Die Erzählerin kämpft dagegen an, sich einzugestehen, dass die ganze Situation sie zu ersticken droht: „Unser Zeit ist exakt kalkuliert, unsere Vorräte sind exakt kalkuliert, unser Tage sind exakt kalkuliert, unsere Wörter sind exakt kalkuliert, unsere Bewegungen sind exakt kalkuliert.“ Die Geschichten der Nachbarn drehen sich um den Tod – und um den Wald mit…

Im Wechselbad der Gefühle
Kinderbücher , Rezensionen / 3. September 2024

Für viele Kids ist die Gegenwart beängstigend: Kriege, Krisen, Klimawandel dazu noch Chat GBT und Cyber-Mobbing. Die Niederländerin Anna Woltz thematisiert in ihrem lesenswerten Jugendroman „Atlas, Elena und das Ende der Welt“ die aktuelle Gefühlslage. Dabei lässt sie die Protagonisten Atlas und Elena abwechselnd ihre Sicht der Dinge schildern. Hass im Netz Die 13-jährige Elena hat mit ihrem Internet-Auftritt jede Menge Follower. Doch ihr letzter Post, in dem sie ihnen geraten hat, sich ihren Ängsten zu stellen, hat ungeahnte Folgen und macht sie zur Hassfigur im Internet. Und dann fliegt auch noch ihre Mutter in ein Yoga-Retreat in Indien und Elena muss zu einer Tante, die sie kaum kennt. Die Schwester ihrer Mutter lebt mit ihrer Patchworkfamilie weit ab von der Zivilisation. Elena graut es vor dem Treffen. Seltsamer Alltag Auf den ersten Eindruck hat sie Recht mit ihrem Misstrauen. Die Kinder mit den seltsamen Namen Kennedy und Atlas wirken ziemlich verschroben,  der Vater jagt ihr mit seiner abweisenden Art Angst ein, und die Tante leidet an Long-Covid. Noch dazu wird Elena dazu verdonnert, im Haus und auf dem Hof mitzuarbeiten, und ihr Bett ist im Schuppen in einem Verschlag ganz in der Nähe von Atlas, der ihr viele Rätsel…

Bärenstarke Wildnis
Reisebücher , Rezensionen / 3. September 2024

Wenn sich Mutter und Tochter gemeinsam auf den Weg machen, kann das ganz schön anstrengend sein. Vor allem, wenn die Tochter in der Pubertät und die Mutter noch in der Trauerzeit ist. Verena Schmidt hat es trotzdem gewagt, nach dem Unfalltod ihres Mannes, mit ihrer 13-jährigen Tochter Analena die Rockies zu erkunden. In dem Buch „Zwei Sommer in den Rockies“ schreiben die beiden abwechselnd über ihr gemeinsames Abenteuer und ihre Empfindungen. Blauäugiger Start Dass beide nicht immer einer Meinung oder einer Stimmung sind, verhehlen sie nicht, da wird ordentlich gemotzt und gegrummelt. Wobei Mutter Verena, die ihr Geld als professionelle Reiseleiterin verdient, sich für die gemeinsamen Abenteuer viel vorgenommen hat: „Reisen, andere Kulturen erleben und sich unterwegs zurechtfinden, vermittelt einfach soviel Toleranz und Skills, wie es kein schlaues Buch oder stationärer Unterricht vermag.“ Doch schnell muss sie erkennen, dass es für das Vorhaben mehr Vorbereitung braucht. Zu blauäugig sind die beiden gestartet, aber durch Erfahrung immerhin klüger geworden. Im Land der Bären Schließlich sind sie im Land der Bären unterwegs. Da heißt es vorsichtig zu sein. Genau wie im Schnee, der sie bei einer Tour überrascht oder im Mückenschwarm. Kanadas Wildnis ist von einer anderen Qualität als die weithin gezähmte…