Der Ire Paul Murray kann erzählen, seitenlang. Auch sein hochgelobter Roman „Der Stich der Biene“ ist ein dicker Brocken. Die 700 Seiten über eine dysfunktionale Familie in den irischen Midlands haben es 2023 sogar auf die Shortlist des renommierten Booker Prize geschafft. „Sie werden in diesem Jahr keinen traurigeren, spannenderen und lustigeren Roman lesen“ wird der Guardian auf dem Umschlag zitiert. Sinnbild des Zerfalls Tatsächlich ist diese Geschichte über den Niedergang der Familie Barnes teilweise urkomisch, teilweise Furcht erregend aktuell und immer spannend. Murray lässt die Lesenden hinter die Fassade blicken – auf eine irische Gesellschaft, wie man sie so nicht kennt. Der Zerfall der wohlhabenden Familie steht sinnbildlich für den Zerfall der Gesellschaft, die nach dem Motto zu leben scheint „Jeder für sich und Gott gegen alle“. Ein ungleiches Paar Im Mittelpunkt der Geschichte, die Paul Murray aus den unterschiedlichen Perspektiven der Familie erzählt, steht Dickie, der den prosperierenden Autosalon seines Vaters an die Wand fährt. Nach dem Unfalltod seines charismatischen Bruders Frank hat Dickie dessen Geliebte geheiratet, obwohl er während seines Studiums in Dublin seine Homosexualität entdeckt und mit einem Freund ausgelebt hat. Imelda kommt aus prekären Verhältnissen: Der Vater ein nichtsnutziger Säufer, die Brüder bis auf den…
Bald beginnt auch in Bayern die Schule, und für viele Kinder ist das eine ganz neue Erfahrung. Als Schulanfänger werden sie rechnen lernen, lesen und schreiben. Und sie werden sich in eine Klassengemeinschaft eingewöhnen lernen. Es kann nicht schaden, sich schon ein bisschen darauf vorzubereiten. Diese beiden Bücher nehmen die Kleinen mit in eine Welt voller Magie und machen Mut, sich den Herausforderungen zu stellen. Vom Angsthasen zum Lebensretter Der kleine Bär muss erst noch lernen, dass er seine Angst überwinden kann. Während seine älteren Geschwister schon gewitzt und mutig sind, ist das kleine Bärenkind voller Furcht. Aber dann schenkt ihm ein Feuervogel eine leuchtende Feder. Und die hat magische Eigenschaften. Den plötzlich hat der kleine Bär keine Angst mehr, weil seine Feder ihn hält. Und dann braucht das Bärenkind seinen ganzen Mut, um ein Hasenmädchen vor dem Ertrinken zu retten. Dank seiner magischen Feder schafft es auch das. Doch dann ist die Feder verschwunden. Der kleine Bär sucht sie überall – vergebens. Todtraurig kehrt er heim zur Bärenmama. Und sie kann ihn trösten. Weil er so mutig war, brauche er die magische Feder nicht mehr, sagt sie. Denn nun habe er den magischen Funken in sich selbst gefunden. „Das…
Moa Herngren hat mit ihrem Roman „Scheidung“ in Schweden einen Bestseller gelandet. Wahrscheinlich auch deshalb, weil viele Lesende die Problematik kennen und sich im Roman wieder erkennen. Wie heißt es immer so schön: Es gehören immer zwei dazu, wenn eine Partnerschaft nicht funktioniert. Das ist auch bei Bea und Niklas nicht anders – auch wenn Bea es nicht wahrhaben will. Trautes Heim, Glück allein? Hat sie nicht immer alles getan, um Mann und Töchtern ein schönes Heim und ein harmonisches Familienleben zu verschaffen? Und Niklas? Was hat er schon dazu beigetragen? Ja, ohne sein Gehalt als Kinderarzt könnten sie sich die luxuriöse Wohnung, die Reitstunden für die eine Tochter und so manche Extra-Ausgabe nicht leisten. Dafür hat sie der Familie zuliebe auf eine eigene Karriere verzichtet und begnügt sich mit einer eher bescheidenen Entlohnung beim Roten Kreuz. Mehr als eine Midlife-Crisis Moa Herngren lässt Bea als erste zu Wort kommen, ihren ganzen Frust ablassen. Doch die journalistisch versierte Autorin weiß, dass es zwei Wahrheiten gibt. Und deshalb darf Niklas auch ausgiebig seinen Standpunkt klarstellen. Warum will er nach einem eigentlich lächerlichen Streit raus aus der Beziehung? Da ist mehr dahinter als die übliche Abnützung in einer langen Ehe oder eine…
Familienroman und Horrorstory: Wie geht das zusammen? Die Österreicherin Jessica Lind schafft es, in ihrem Roman „Kleine Monster“ beides zu verbinden. Die Ich-Erzählerin Pia muss sich als Mutter des Grundschülers Luca mit Vorwürfen herumschlagen, ihr siebenjähriger Sohn habe sich vor einer Mitschülerin entblößt. Luca selbst schweigt zu den Anschuldigungen und irgendwann scheint die Sache im Sand zu verlaufen. Nagender Verdacht Doch das ist nur oberflächlich. Während ihr Mann Jakob sich schnell hinter seinen Sohn stellt, nagt in Pia ein böser Verdacht. Dabei erinnert sie sich an ihre eigene Kindheit, die kleine Schwester Linda und die Adoptivschwester Romi, die von Pia uneingeschränkt bewundert wurde. Romi war wild und ungezügelt, und Linda kam bei einem Badeunfall ums Leben. Pia wüsste gern mehr darüber, aber ihre Eltern schweigen – wie Luca schweigt. Keine Bilderbuchwelt Das Ganze hat etwas Bedrohliches, vor allem die Zwanghaftigkeit, mit der Pia versucht, Luca zum Reden zu bringen. Was will sie wirklich von dem „kleinen Monster“, als das sie Luca und seinen Freund Mattis sieht? Tatsächlich sind die Kinder in diesem Roman alles andere als niedliche Reproduktionen ihrer Eltern. Sie haben ihren eigenen Kopf und den Willen, sich durchzusetzen. Trotzreaktionen und Machtkämpfe kommen auch in Familien vor, die nach…
So richtig sympathisch ist keine dieser Perserinnen, die Sanam Mahloudji in ihrem gleichnamigen Roman zu Wort kommen lässt. Allen voran die arrogante Schönheit Shirin, die davon ausgeht, sich in ihrem amerikanischen Exil so ziemlich alles erlauben zu können. Schließlich spielt Geld keine Rolle. Und dann ist da auch noch der große Name unter ihren Ahnen, ein berühmter Krieger. Im alten Persien jedenfalls gehörte ihre Familie zu den besten des Landes. Da können die Amerikaner nicht mithalten. Zweierlei Leben Ihre Nichte Bita sieht das alles ein bisschen differenzierter. Sie schämt sich, wenn ihre exaltierte Tante sich mal wieder daneben benimmt und ausgerechnet einem Polizisten eine Nummer für 50.000 Dollar anbietet – natürlich aus Spaß. Shirin kann sich einfach nicht vorstellen, dass auch sie angreifbar ist. Ihr Leben in Aspen mit Mann und Sohn ist so glamourös wie langweilig. Und Bita kann sich nur über die naive Rücksichtslosigkeit ihrer Tante wundern: „Seit elf Jahren, seit 1994, flogen wir jetzt schon aus New York, L.A. und Houston hierher, als hätte es 1979 und die Islamische Revolution nie gegeben. Als gehörten wir immer noch den wichtigsten Familien im Iran an, als wären wir die Nachkommen mächtiger, uralter Dynastien, obwohl das hier Amerika war und…
Die Idee ist gut, die Durchführung nicht immer einfach. Bergenthusiasten haben sich zusammengetan, um in einem Buch für Touren ab München mit Bahn und Bus zu werben. Die Idee „Natürlich mit Öffis“ hat viel für sich. Wer mit Bahn und Bus unterwegs ist, muss nicht wieder zum Ausgangspunkt zurück und kann munter drauflos laufen, sofern am Zielpunkt ein Bahnhof ist oder ein Bus fährt. Mit Zeit-Puffer Natürlich wollen solche Touren sorgfältig geplant sein. Dabei helfen auch jede Menge Apps – und das Deutschland- oder das Bayernticket. Zeit-Puffer sollte man aber immer einplanen, um keine unliebsamen Überraschungen zu erleben. Dafür sorgt die Bahn hin und wieder, wenn Züge gestrichen werden oder mit großer Verspätung eintreffen. Dann ist es aus mit der im Buch so hochgelobten Gemütlichkeit. Ohne Parkplatzsuche Aber natürlich ist die Idee schon aus Gründen der Nachhaltigkeit gut. Außerdem spart man sich in Ferienzeiten die Anfahrt im Stau und womöglich die – vergebliche – Suche nach einem Parkplatz. Anregend sind die vorgestellten und einladend bebilderten Touren allemal. Wer eine Tour sucht und in dem Buch blättert, wird sicher fündig. Das gilt auch für Menschen, die im Raum München oder im Allgäu Urlaub machen. Blau, rot oder schwarz? Wichtig ist, dass…
„Von jetzt auf gleich war alles vernichtet, was ich mir vorgestellt hatte,“ sagte Daniela Krien vor Jahren in einem Gespräch über ihre behinderte Tochter. Wie ihr ergeht es der Ich-Erzählerin in Kriens neuem Roman „Mein Drittes Leben“. Linda hat ihre 15-jährige Tochter durch einen Unfall verloren. Seither ist ihr Leben zerbrochen und sie versucht, das Leben neu zu lernen. Unterschiedliche Trauer Die elegante Galeristin hat sich von einer alten Frau die zeitweise Übernahme eines heruntergekommenen Bauernhofes aufschwatzen lassen. Auf dem Land verändert sich Linda bis zur Unkenntlichkeit. So empfindet es jedenfalls Richard, ihr Mann. Auch er tut sich schwer, den Tod der Tochter zu verkraften. Aber an seinem Leben ändert sich kaum etwas. Immerhin hat er noch zwei Kinder aus erster Ehe. Und das nimmt Linda ihm übel. Rückzug aufs Land Das Dorf, in das sie zieht, ist so hässlich, dass sie das Leben dort als eine Art Strafe betrachten kann. Strafe dafür, dass sie noch lebt, während ihr Kind tot ist. Was sie nicht erwartet hat, ist, dass sie in diesem Dorf Freunde findet. Die Nachbarn, ein älteres Ehepaar mit ganz eigenen Sorgen, nehmen sie herzlich auf. Bei ihnen hat sie nicht das Gefühl, sie mit ihrem Leid zu…
Ursula Poznanski ist eine Meisterin der Spannung. Am liebsten entwickelt sie ihre Thriller rund um aktuelle Technologien. Das gilt auch für ihren neuen Thriller „Scandor“. Nein, es geht nicht um die viel diskutierte KI, auch wenn dieser Lügendetektor KI-Elemente enthält. Er reagiert auf die kleinste Flunkerei und korrespondiert über Körperfunktionen. Nicht so schlimm, denkt man erstmal. Aber wir kennen ja Ursula Poznanski. Sie hat sich da wieder ein Szenario ausgedacht, das Ängste vor übergriffigen digitalen Errungenschaften schürt. Lügen und Traumata Philipp und Tessa, beide 18, haben sich auf eine ganz besondere Herausforderung eingelassen und lernen einander dabei kennen. Sie sind zwei von 100 Menschen, die einen neu entwickelten, unfehlbaren Lügendetektor testen sollen: Scandor. Wer beim Lügen erwischt wird, ist draußen und muss sich dem Trauma seines Lebens stellen. Dem Sieger winken fünf Millionen Euro. Viel Geld, das einige der Teilnehmenden dazu verlockt, bei den Frage- und Antwort-Duellen zu unfairen Mitteln zu greifen. Und dann gibt es wohl jemanden im Hintergrund, der die Fäden zieht und seine ganz eigenen Ziele verfolgt. Die Spannung wächst Es fängt alles ganz harmlos an und steigert sich ab der Mitte bis zum Show Down am Ende, der einige der losen Fäden zusammenführt. Auch wenn da…
Stephan Orth ist sicher einer der unerschrockensten Couchsurfer. 43 Jahre ist der Journalist und Buchautor inzwischen alt und noch immer bettet er sich gern auf Luftmatratzen, Sofas und Behelfsbetten, die Menschen für ihn bereitstellen, die er nur dem Namen nach kennt. Unerschrocken ist er deshalb, weil er sich dabei auch in Diktaturen wie den Iran wagt oder nach Russland. Doch so unerschrocken wie diesmal war er wohl noch nie. Denn der Couchsurfer, mittlerweile mit einer Ukrainerin liiert, hat die Ukraine zu seinem Ziel erkoren. Starke Geschichten Nicht ohne sich und seine Beweggründe zu hinterfragen: „Ich erlebe Tragödien aus der Nähe, und dann versuche ich, daraus Aufmerksamkeit zu generieren. Je extremer meine Erlebnisse sind, je mehr Gefahr ich mich aussetze, desto stärker die Geschichte“, weiß er aus eigener Erfahrung. Und eine starke Geschichte will er schreiben, um möglichst vielen Menschen eine Ukraine näher zu bringen, die sie nicht aus dem Fernsehen oder den Nachrichten kennen. Hoffnung auf das Kriegsende Natürlich ist Stephan Orth nicht in das vom Krieg heimgesuchte Land gereist, um touristische Tipps zu geben. Aber er will die Lesenden ermuntern: „Fahren Sie in die Ukraine, sobald das die Sicherheitslage erlaubt… Es lohnt sich sehr.“ Und er hofft auch: „Irgendwann…
Er wollte nie viel von sich preisgeben. Auch weil er nicht mit der Familie von Schirach und deren Verstrickungen in der NS-Zeit in Verbindung gebracht werden wollte, hat er sich hinter einem selbst gewählten Namen versteckt: Benedict Wells. Doch in dem Buch „Die Geschichten in uns“, das er seinem Vater gewidmet hat, lässt der immer noch jugendlich wirkende Erfolgsautor die Lesenden teilhaben an seinem Leben und Schreiben. Inspiration von Stephen King Die Gedanken und Sätze dieses Buches kamen ihm fast mühelos, schreibt Benedikt Wells im Vorwort. Es ist kein Roman geworden, sondern eine Art Werkstattbericht. Inspiriert dazu hat ihn Stephen King mit seinem Buch „On Writing“ (Über das Schreiben). Und wie sein Vorbild schreibt Wells auch über sich selbst, denn ohne den Jungen, der er war „und sein Aufwachsen kann ich nicht von meinem Schreiben erzählen“. Schwierige Kindheit Und dieses Aufwachsen ist alles andere als einfach. Die Mutter manisch-depressiv, der Vater insolvent. Das staatlich-katholische Grundschulheim empfindet der sensible Junge als eine Zauberwelt weit weg vom Problem behafteten Zuhause. Dass es mit den Eltern auch glückliche Momente gab, will er nicht verhehlen. „Ihre Liebe trotz aller Probleme und der Zugang zur Literatur gehören zu den größten Privilegien meines Lebens.“ Schon mit…