Der Inder Rahul Raina nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn es darum geht, was faul ist im Staat Indien. Sein Roman „Bekenntnisse eines Betrügers“ ist deshalb auch nichts für naive Indien-Versteher. Indien-Kenner freilich werden Rainas Schelmenroman mit Vergnügen lesen. Denn der junge Autor nutzt jede Gelegenheit, die Schwächen des Staates zu entlarven, der sich die größte Demokratie der Welt nennt: Korruption, Kastenunwesen, Dreck, Armut und die Neigung zu Massenhysterie. Chancenlos in der Klassengesellschaft Auch die Geschichte des jungen Ich-Erzählers Ramesh, der mutterlos bei seinem gewalttätigen Vater auf- und dank einer unerschrockenen französischen Nonne zu einem intelligenten jungen Mann heranwächst, ist eine typisch indische. Denn Ramesh, der am liebsten im Sinn seiner Wohltäterin ein Studium absolviert hätte, hat keine Chance auf einen Aufstieg in Indiens Klassengesellschaft. Erkaufte Karriere Stattdessen verhilft der hochintelligente Ramesh aus Geldnot dem verwöhnten und faulen Söhnchen eines gut situierten Paares zu einem Abschluss als Bester der Nation. (Gekaufte Titel sind in Indien wohl an der Tagesordnung.) Für den dicklichen und eher dümmlichen Rudrash, genannt Rudi, beginnt damit eine atemberaubende Karriere als Quiz-Moderator. Und Ramesh profitiert als dessen Assistent vom neuen Wohlleben. Doch die Konkurrenz schläft nicht – die beiden werden gekidnappt. Sündenbock Ramesh Was dann folgt,…
Sehenswürdigkeiten abklappern. Das war einmal. Vor allem junge Leute wollen im Urlaub etwas erleben, das sagen alle Studien. Der Michael Müller Verlag hat auf dieses Bedürfnis reagiert und lädt in seiner neuen, originell aufgemachten Reisebuch-Reihe dazu ein, das Urlaubsziel über besondere Erlebnisse kennenzulernen. Ob Inselabenteuer oder Stadterlebnis, selbst in so bekannten Zielen wie Mallorca oder dem Berliner Umland finden die Autoren noch Unentdecktes. Abenteuer im Abseits Die Drachenhöhlen oder Palmas Kathedrale habe er links liegen lassen, schreibt Frank Feldmeier im Vorwort zu „Mallorca – Inselabenteuer“. Dafür habe er sich Streetart erklären lassen, sei über ehemalige Eisenbahnstrecken geklettert und Umweltschützern zur Hand gegangen. 33 Abenteuer hat er im Buch aufgeschrieben. Viele günstig zu haben oder gar kostenlos wie die Bänke an der Uferpromenade von Es Carnatge, ideal für „Planespotter“, also zum Beobachten der Flugzeuge. Oder die Töpferroute von Marratxí, wo alles in Handarbeit hergestellt wird. Oder ein Bad am wohl einsamsten Strand der Insel S‘Arenalet d‘Aubarca mitten im Naturschutzgebiet und nur mit einem zehn Kilometer langen Fußmarsch zu erreichen. Am Ende nimmt Feldmeier die Lesenden mit auf seine nicht immer ganz einfache Suche nach dem Mittelpunkt Mallorcas. Das Buch ist in Regionen eingeteilt. Zu jeder Region gibt‘s eine Karte und am…
Wolf Harlander ist als Journalist immer am nah dran am Zeitgeschehen. Das hat er mit seiner Öko-Dystopie „42 Grad“ und dem Thriller „Systemfehler“ zum Thema Cyberattacken bewiesen. Und sein neues Buch „Schmelzpunkt“ passt in die Serie. Denn vieles, worüber Harlander darin schreibt, kennen wir aus den Schlagzeilen: Die Erderwärmung, die Gletscherschmelze, den Kampf um die Arktis und ihre Ressourcen. Es geht um Geld und Macht Wolf Harlander packt alles in einen spannenden Thriller, in dessen Zentrum die Wissenschaftlerin Hanna vom Alfred-Wegener-Institut und der grönländische Inuit Nanoq stehen. Hauptschauplatz ist ein unter ungewohnter Hitze stöhnendes Grönland, auf dem sich Spione, Abenteurer und Söldner aus aller Welt tummeln. Es geht um Geld, viel Geld. Und um die Macht am nördlichen Ende der Welt. Wieder mal der BND Auch der BND ist alarmiert und schickt den jungen Nelson Carius und seine kühle Kollegin Diana Winkels, die man schon aus „Systemfehler“ kennt, in die Problem-Zone. Die beiden sind ziemlich abgebrüht, ihren Weg pflastern einige Leichen. Doch bei dem Machtkampf im gar nicht mehr so ewigen Eis bleiben vor allem andere auf der Strecke – die Inuit, deren Leben auf den Kopf gestellt wird. Als dann auch noch eine wohl von Menschen ausgelöste Monsterwelle Nanoqs…
Joseph Simcox ist ein Weltreisender in Sachen Wildpflanzen. Und so vereint das grell pinkfarben aufgemachte Buch „Bizarre Edible Plants“ auf 176 Seiten tatsächlich 72 bizarr aussehende Pflanzen aus aller Welt, die Simcox auf seinen Reisen in mehr als 120 Länder aufgespürt und auch gegessen hat. Entdecken und essen Joseph Simcox, der sich selbst als „botanischer Entdecker“ sieht und den Ehrgeiz hat, möglichst viele der essbaren wilden Pflanzen dieser Erde nicht nur zu entdecken sondern auch zu verkosten, beschreibt in diesem schön aufgemachten und informativen Buch die Forschungsreisen in aller Welt, die er seinem Team unternommen hat. Vor allem aber geht es ihm darum, das Potenzial wilder essbarer Pflanzen auch Laien klar zu machen. Vorsicht vor giftigen Exemplaren Mehr als 10.000 Pflanzen habe er selbst entdeckt und gegessen, hat er im einleitenden Interview gesagt. Um sie zu finden, sei ihm keine Mühe zu groß gewesen. Weder hohe Berge noch gefährliche Sümpfe konnten ihn auf seiner Mission stoppen. Sein gründliches Wissen half ihm, giftige Pflanzen zu meiden. Allerdings hat auch der Pflanzenkenner böse Erfahrungen gemacht, als er essbare mit giftigen Pflanzen verwechselt hat. Davor will er seine Mitmenschen bewahren. Ideen für die Sterne-Küche Im Buch zeigen großformatige Pflanzen- und Früchte-Porträts, was an…
Für Christian Schüle ist das Reisen nicht nur eine Leidenschaft, sondern eine Notwendigkeit. „Weil die Bereisung der Welt lehrt, dass jeder Mensch überall er selbst zugleich ein Fremder ist“, schreibt er im Vorwort zu dem philosophischen Buch „Vom Glück unterwegs zu sein“. Unterwegs war der Autor in aller Welt, wobei es ihm weniger um die Sehenswürdigkeiten oder um Instagram-fähige Fotos ging als um die Begegnung mit anderen Menschen und ihren Sitten. Herausfordernde Begegnungen Bei der Erklärung, warum der Mensch überhaupt aufbricht, beruft er sich auf literarische Vorbilder von Grimmelshausen über Daniel Defoe und Jean-Jacques Rousseau bis Robert Louis Stevenson und Heinrich Heine. „Wer vom anderen nichts weiß, weiß nichts von sich“, ist Christian Schüle überzeugt. Aber diese Überzeugung und die Neugier auf andere bringt ihn hin und wieder auch in schwierige Situationen: Etwa in Äthiopien, wo er nicht weiß, wie er bei einer armen Familie Gast sein kann, ohne die letzten Vorräte zu verbrauchen. Bei Stammesältesten in Afrika, für die es außerhalb jeder Vorstellung ist, Mädchen nicht beschneiden zu lassen. Oder im Gespräch mit einem überzeugten Muslim über die Pflichten der Frauen. Auf Abwegen zum Genuss „Als Europäer hatte man in diesen Momenten kein Recht, auch nur irgendetwas zu sagen“,…
Gelsenkirchen, die Heimat von Schalke 04, Stadt des Bergbaus und der dicken Luft. Und heute „die ärmste Stadt Deutschlands“ trotz sauberer Luft. Ausgerechnet diese Stadt macht der Schriftsteller Gregor Sander zum Objekt einer Erkundung. In „Lenin auf Schalke“ geht es um den „Osten im Westen“, wie Sanders Freund Schlüppi meint. Schließlich werde es Zeit zurückzugucken. „Weil die aus dem Westen uns seit dreißig Jahren ununterbrochen beschreiben, filmen und betrachten. Die haben uns gedreht und gewendet wie die Schnitzel in der Pfanne und immer noch nichts begriffen.“ Die traurigste Stadtinformation Auch Sander begreift erstmal nichts, als er in Gelsenkirchen bei Schlüppis Cousine, der „Zonengabi“, absteigt und die Abraumhalden betrachtet. Warum die noch da sind, wenn doch schon längst Schicht im Schacht ist, fragt er Gabis Freund Ömer. „Für zum runtergucken“, sagt der und Gabi ergänzt: „Und wegen der Touristen.“ Darauf wäre Sander nun eher nicht gekommen, so abgetakelt wie sich ihm Gelsenkirchen präsentiert: geschlossene Kneipen, verrammelte Schaufenster, bröckelnde Fassaden. Und „die traurigste Stadtinformation der Welt“ in einer winzigen Bude, die sich tapfer abmüht, Gelsenkirchen etwas Sehenswertes abzugewinnen. Empathie für die Stadt der Abgehängten Außer Schalke, aber die sind ja inzwischen auch abgestiegen. Kein Wunder, dass bei den Fans in der Friesenstube…
Nein, eine gemeinsame Sache ist diese Familie Garrett, von der Anne Tyler im gleichnamigen Roman erzählt, eher nicht. Das wird schon früh klar, als die Tochter Alice beim Badeurlaub feststellt: „Der Unterschied zwischen dieser Szene und den Szenen in den französischen Gemälden lag darin, dass die Menschen auf den Bildern ei gemeinsamen Unternehmungen dargestellt waren, bei Picknicks oder Bootsfahrten, während hier jeder für sich blieb… Ein Passant hätte niemals gedacht, dass sich die Garretts überhaupt kannten, so allein und weit voneinander entfernt wirkten sie.“ Allein statt gemeinsam Über 60 Jahre Familiengeschichte erzählt Anne Tyler, von 1959 bis ins Corona-Jahr 2020. Im Zentrum stehen Robin und Mercy und ihre drei Kinder Alice, Lily und David. Nach außen eine glückliche Familie, nach innen voller Konflikte, die nicht ausgesprochen werden. Auch als Mercy aus dem gemeinsamen Heim ausgezogen ist, fragt niemand nach. Alle tun so, als wäre alles wie immer. Und vor allem Robin ist glücklich, dass er nichts erklären muss: „Kein einziges seiner Kinder ahnte, dass Mercy nicht mehr zu Hause wohnte. Das war die größte Errungenschaft in Robins Leben.“ Das Erbe der Eltern Dass die Familienmitglieder nebeneinander her leben, setzt sich fort bei den Kindern und Kindeskindern, die Anne Tyler später…