Eine Pandemie in Zeiten des Terrors
Rezensionen / 26. Januar 2021

Ludmila Ulitzkaja geht es um die „Pest zu Zeiten der politischen Pest“: Die studierte Biologin erzählt von einer „drohenden Pestepidemie in Moskau 1939, die durch das schlimmste und mächtigste Machtinstrument jener Zeit gestoppt wurde, durch das NKWD, den Geheimdienst der UdSSR.“ Diese scheinbar allmächtige und skrupellose Organisation hat wie eine Krake ihre Fühler überall und sie schreckt vor nichts zurück. Die Menschen sind ihr hilflos ausgeliefert, die Angst um die eigene Existenz zerstört jede Zwischenmenschlichkeit. Brutalität gegen Infektiosität Bei der Bekämpfung der Pandemie erweist sich der Geheimdienst mit seinen brutalen Maßnahmen als effektiv. „Tatsächlich war es damals ausgerechnet der Geheimdienst, der seine einschlägige Erfahrung bei der Verhaftung und „Liquidierung“ von Menschen nutzte, um binnen weniger Tage eine strenge Quarantäne zu organisieren und so eine Epidemie verhinderte“, schreibt Ludmila Ulitzkaja im Vorwort. Und: „So verblüffend es scheint: Die Sicherheitsorgane waren stärker als die Kräfte der Natur. Das bietet Stoff zum Nachdenken…“ Ein Arzt als Held Allerdings: Wie in Camus‘ „Die Pest“ ist es auch hier ein unerschrockener Arzt, der durch seinen selbstlosen Einsatz dafür sorgte, dass sich die Infektionen nicht noch weiter verbreiteten. Das weckt Erinnerungen an den chinesischen Augenarzt Li Wengliang, der frühzeitig vor dem Coronavirus in Wuhan warnte und…

Heimat für Büchermenschen
Rezensionen / 26. Januar 2021

Was sind Literaturhotels? Barbara Schaefer versucht in dem schön aufgemachten und klug geschriebenen Bildband eine Antwort. Alles beginnt mit Notebooms erdichtetem Hotel und mit der Aussage, dass sich Hotels gern mit dem Aufenthalt berühmter Autoren schmücken. Graham Greene war da ein guter Kandidat. Er schien „fast in jedem Hotel in den Tropen eingecheckt zu haben“. Das Oriental in Bangkok widmete dem viel gereisten Schriftsteller denn auch eine Suite. Legende und Gegenwart Auch Hemingway und Thomas Mann scheinen Hotels geschätzt zu haben. Aber schreibende Frauen? Ein schwieriges Kapitel, meint Barbara Schaefer. „Man findet sie kaum“ – mit Ausnahme von Agatha Christie oder Hotels bei Lesereisen, auf denen Elke Heidenreich etwa das „legendäre“ Waldhaus in Sils Maria zu schätzen lernte. Doch Legenden müssen nicht ewig leben: Das von Leonard Cohen besungene und von Bob Dylan und Andy Warhol gern besuchte Chelsea Hotel in New York zum Beispiel steht großenteils leer, umweht vom „Hauch der Vergänglichkeit alter europäischer Grandhotels“. Berühmte und weniger berühmte Hotels Barbara Schaefer hat sich für ihr Buch über  Literaturhotels umgesehen in der Welt der Hotels und der Literatur, sie kennt Hotelromane wie Joseph Roths „Hotel Savoy“ oder Vicki Baums „Menschen im Hotel“, und so folgt man gern ihrer Einladung…

Kuscheln mit Schimpansen
Allgemein / 24. Januar 2021

Ein Schimpanse als Lebensgefährte? „Tiere sind auch nur Menschen“, heißt es eher scherzhaft. Doch wie menschlich sind Tiere wirklich? Der amerikanische Erfolgsautor T.C. Boyle („Wassermusik“, „Amerika“, „Die Terranauten“) geht in seinem neuesten Roman „Sprich mit mir“  der Frage nach, ob Tiere uns nicht ähnlicher sind als wir denken. Zum Beispiel Affen. Der Schimpanse als Kleinkind Sam, der Schimpanse, den Professor Guy Schemerhorn in eine TV-Show bringt, kann in der Gebärdensprache nicht nur einen Cheeseburger bestellen, sondern auch seinen Namen sagen. Wie ein Kleinkind wird er von Wissenschaftlern umsorgt, trägt anfangs Windeln und Latzhose und isst mit  am Tisch. Vor allem für Frauen entwickelt Sam ein besonderes Faible. Doch zu keiner fühlt er sich so hingezogen wie zu der schüchternen Studentin Aimee. Ende einer Menage à trois Die beiden entwickeln eine eine einzigartige Beziehung zu einander, in die anfangs auch der Professor eingebunden ist. Dass er und Aimée ein Liebespaar werden, verfolgt Sam mit der Eifersucht eines Liebhabers. Es ist eine verrückte aber glückliche Menage à trois, bis Guys Mentor das Projekt Sam abbricht und den Schimpansen zurückholt – in einen Laborstall mit anderen Affen. Während Guy resigniert aufgibt, wird Aimée zur Rebellin. Sie reist Sam nach und verdingt sich als…

Der Ruf des Südens
Rezensionen / 19. Januar 2021

Der Süden ist für viele Norweger der Inbegriff eines Traumurlaubs: Sonne, Strand und Meer, gastfreundliche Einheimische, mediterrane Genüsse. Einst lag der Süden tatsächlich im Süden Europas, in Italien. Heutzutage kann der Süden nach Meinung von Are Kalvo auch Brasilien sein oder Thailand. „Der Süden existiert unabhängig von Staatsgrenzen, Kontinenten und politischen Entwicklungen. Viele von uns kennen Menschen oder haben von welchen gehört, die im Süden Urlaub gemacht haben, ohne ganz genau zu wissen, in welchem Land sie eigentlich waren.“ Selbstversuch vor 18 Jahren Vor 18 Jahren hat der norwegische Komiker versucht, dem Phänomen auf den Grund zu gehen – bei einem Selbstversuch. Inzwischen ist die Reise in den Süden „so alltäglich wie ein Hüttenwochenende“. Doch seit Corona ist auch das anders, und die mittlerweile 18 Jahre alten Erfahrungen von Kalvo unter der „Pauschalsonne“ haben in der deutschen Übersetzung eine ganz neue Aktualität gewonnen. Sauf- und Anti-Touristen Zwar sind die Erlebnisse und Begegnungen meist norwegisch eingefärbt, aber vielerorts sind die Nationalitäten im Urlaub austauschbar, verhalten sich Deutsche, wenn sie am Ballermann die Sau rauslassen, nicht viel anders als Norweger in Magaluf. Und noch immer stimmt, dass Rucksacktouristen „auf gar keinen Fall Touristen“ sein wollen und dass die Suche nach der vielbeschworenen…

Grenzerfahrungen
Rezensionen / 9. Januar 2021

Über die Grenzen zu gehen oder zu fahren kann – je nachdem – abenteuerlich oder auch lebensgefährlich sein.  Kommt darauf an,  woher man kommt und wohin man unterwegs ist. „Die drei Musketiere“ nennen sie sich, die drei Freunde, die von Wien aus nach Teheran radeln wollen. Das Männertrio ist gut aufeinander eingespielt und so fängt das Abenteuer auch super an – mit schönen Frauen, tollen Clubs und neuen Bekanntschaften. Von der Freiheit des Reisens Und Paul, der darüber auch ein Blog und später ein Buch schreibt, ist voller Enthusiasmus. Was er in Belgrad notiert, können sicher viele nachvollziehen, denen das Reisen in diesen Zeiten besonders fehlt: „Es gibt keinen Alltag beim Reisen. Die Tage sind ungemein voll und alles, was man zu sehen bekommt, ist neu. Landschaft – neu, Menschen – neu, Städte – neu. Man fährt jeden Tag ins Ungewisse und weiß nie, was einen erwartet. Das ist Freiheit. Oder?“ Toleranz gefragt Auf diese Freiheit müssen die meisten derzeit verzichten, dafür können sie sich mit diesem Buch in ein Abenteuer vertiefen, das dann doch nicht immer so verläuft wie erträumt. Denn nach Wochen im Radsattel und gemeinsamem Schlaf im kleinen Zelt kommen selbst die drei Musketiere ans Ende ihrer…