Lange hat Margaret Atwood die Leser auf diese Fortsetzung warten lassen. Über die Jahre haben sich gefragt, wie es Desfred, der Protagonistin aus „Der Report der Magd“ geht. Ob sie Gilead überlebt hat, diesen totalitären, christlich-fundamentalistischen Staat, in dem Frauen nichts und Männer alles sind. Nun, nachdem ihr Buch durch IS und einen Frauen verachtenden Trump neue Aktualität bekommen und zugleich als Serie reüssiert hat, hat sich Atwood zu einer Fortsetzung veranlasst gefühlt, in der sie die offenen Fragen beantworten lässt – von den „Zeuginnen“, drei sehr unterschiedlichen Frauen. Die Leichen im Keller Die eine, Agnes, wächst in Gilead behütet in einem Kommandantenhaushalt auf, bis ihre „Mutter“ stirbt und die Stiefmutter die 13-Jährige zur Heirat freigibt. Die andere, die rebellische Daisy, lebt in Kanada bei politischen Aktivisten, die sich für die Flüchtlinge aus Gilead engagieren und durch eine Autobombe ums Leben kommen. Und die Dritte, Tante Lydia, ist als Chefin der „Tanten“ im Haus Ardua, einer Art Frauen-Disziplinierungs-Lager, mitten drin und nah dran an der Diktatur von Gilead: „Über die Jahre habe ich viele Leichen in den Keller gebracht, nun bin ich geneigt, sie wieder an Tageslicht zu holen – und sei es nur zu deiner Erbauung, mein unbekannter Leser.“…
Eine Frau, ein kleines Motorrad und eine Reise: Über Grenzen heißt das Buch, das Margot Flügel-Anhalt über ihr großes Abenteuer geschrieben hat. „Die sprachlose Aufmerksamkeit der Männer überrascht und amüsiert mich immer wieder. Ich bin eine ältere Frau. Ja. Ich fahre Motorrad. Ja. Na und?“ Die Mutter von zwei erwachsenen Söhnen musste erst 64 Jahre alt werden, ehe sie sich zum ersten Mal auf ein Motorrad zu steigen traute. Und dann fuhr sie gleich los – aus einem Kaff in Nordhessen in die Länder Zentralasiens, die der Großteil der Deutschen höchstens aus den Nachrichten kennt: Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Usbekistan, Turkmenistan… Die alte Frau und das Motorrad Eine Frau auf einer kleinen Enduro, auch Reisemoped genannt, ist in solchen Ländern schon eine Sensation und dann noch eine ältere Frau. Doch Flügel-Anhalt lässt sich nicht beirren, auch nicht von einigen Stürzen, die ganz und gar nicht harmlos sind. Und schon gar nicht von unfreundlichen Zöllnern an der Grenze oder Männern, die sich weigern, einer Frau die Hand zu geben. Die Frau ist tough, sie braucht keine männliche Stütze – auch wenn sie manchmal ganz froh ist über hilfsbereite Begleiter. Auf einem Teil der Reise fahren zwei Filmer mit. Die Herausforderung des Wegs Doch…
Rainer Moritz weiß, dass Schriftsteller aus ihrer Umgebung – dem Umfeld, den Mitmenschen – schöpfen , auch wenn es lange verpönt war, darüber zu reden. Nun hat der versierte Literaturkritiker und -Liebhaber einen ebenso schönen wie lesenswerten Bildband zur Verortung von Literatur veröffentlicht. „Zum See ging man zu Fuß – Wo die Dichter wohnen“ lädt dazu ein, bekannte Schriftsteller wie Kafka und Hauptmann, Thomas Mann und Anna Seghers, Hesse und Schnitzler in ihrem Lebensumfeld kennen zu lernen und zugleich die Orte neu zu entdecken. Das Ortsbild von Travemünde Moritz ist ein wacher Beobachter, der in der Geschichte Bescheid weiß, aber auch die Realität der Gegenwart im Auge behält. So weist er bei Thomas Mann nicht nur darauf hin, dass das Buddenbrookhaus erweitert wird und mit zeitgeistigen Inszenierungen aufwarten soll, er spart auch nicht mit Kritik an den Errungenschaften der Moderne wie in Travemünde: „Kaum woanders ist es geglückt, mit einem einzigen Neubau ein Ortsbild so nachhaltig zu beschädigen.“ SUVs und Selfiestangen Der Autor registriert die SUVs vor dem Wohnhaus Schnitzlers in der Wiener Sternwartstraße und die Warteschlangen vor dem Kaffeehaus Central, die Besuchermassen in Prag und die „hochgereckten Selfie Stangen im Goldenen Gässchen“, auch die Touristen beim Tätscheln der Pessoa-Statue…
In der Einführung zu seinem Atlas des Unerwarteten würdigt Travis Elborough die Leistung des herzoglichen „Kosmografen“ Mercator, von dem im Frühjahr 1595 der „Atlas sive Cosmographicae meditationes de fabrica mundi“ erschien. Ein Werk mit 107 Karten, das trotz aller Genauigkeit doch nicht wie im Titel versprochen die „Struktur der ganzen Welt“ darstellte. Einige Karten fehlten ganz, andere waren wohl der Fantasie des Kartographen entsprungen. Mit seinem „Atlas des Unerwarteten“ knüpft Elborough an Mercators Atlas an und nimmt die Leser mit auf eine Reise zu 45 seltsamen oder erstaunlichen Orten, die per Zufall oder auch unbeabsichtigt entdeckt wurden. Titusville und Vaseline Zu all diesen Orten gibt es in dem schön gestalteten Buch eigens dafür angefertigte Karten, Schwarz-Weiß-Fotografien und eine geistreiche, oft spannende Geschichte. Zum Beispiel zur Wiederentdeckung der Insel Madeira, die einem Unwetter und einer unglücklichen Liebesgeschichte zu verdanken ist. Zu Titusville, dem längst vergessenen Geburtsort der Vaseline. Natürlich gehört auch Pompeji zu den durch Zufälle wieder entdeckten Orten oder Qumran am Toten Meer, wo Hirten die berühmten Schriftrollen als Erste entdeckten. Chess City und Nova Huta Ganz seltsam ist die Geschichte von Freshkills Park in New York, einstmals „ein natürliches Feuchtgebiet, in dem Stelzvögel und blaue Krabben lebten und Wildkräuter…
Steffen Kopetzky legt mit „Propaganda“ ein ehrgeiziges Anti-Kriegs- Epos vor, in dem er zwei amerikanische Kriegseinsätze miteinander koppelt. Bindeglied ist ein Weltkriegs- und Vietnamveteran. Ein Kriegsversehrter, der weiß, was Napalm anrichten kann und der sich seit einer Begegnung mit dem Gift buchstäblich in seiner amerikanischen Haut nicht mehr wohl fühlt. John Glueck heißt der Mann, der sich wegen eines Verkehrsdelikts verhaften und einsperren hat lassen. Die Hölle im Hürtgenwald Glück hatte der Mann in seinem Leben auch – immerhin hat er überlebt – aber vor allem jede Menge zu erzählen. Er war dabei bei einer der schlimmsten Niederlagen der Army im Hürtgenwald und ist 1971 aktuell in die Publikation der brisanten Pentagon Papers verwickelt, die den Amerikanern grausame Wahrheiten über den Vietnamkrieg bescheren. Jetzt also sitzt der Held im Knast und schreibt sein Leben auf. Er hat mit Salinger und Bukowski bei einem Creative Writing Kurs die Schulbank gedrückt und gesoffen, und er trinkt mit dem genialen Säufer Hemingway im Hürtenwald gegen die Angst – und dessen Schreibblockade – an. Amerikanische Propaganda gegen die Nazis Vor allem aber ist Glueck als Abkömmling deutscher Auswanderer vernarrt in die deutsche Kultur. Deshalb übernimmt er im Krieg gegen die Nazis den Job, die…