China macht seit Jahren mit seinem Seidenstraßen-Projekt Schlagzeilen. Die wirtschaftsmächtige Volksrepublik investiert Milliarden in Straßen, Bücken, Tunnels und Bahnstrecken für Hochgeschwindigkeitszüge, um einen Abschnitt der legendären Seidenstraße zwischen Xinjing und Zentralasien wieder zu beleben. Dabei, so schreibt Alfred de Montesquiou gleich zu Anfang seines informativen Bildbands „Abenteuer Seidenstraße“ gäbe es die Seidenstraße eigentlich nicht. Die alte Handelsroute, die im 15. Jahrhundert schon ihre kommerzielle Bedeutung verlor, sei weder geografisch noch historisch genau zu verorten. Und doch bleibe sie bis heute „die Synthese aller Wege in den Orient und in die Welt der Träume“. Mit Marco Polo auf Entdeckungsreise Nach einem kurzen Exkurs in die Geschichte der Handelsstraße, die nicht aus einer sondern aus mehreren Routen besteht, kommt der Autor, der über Jahre als Journalist im Nahen Osten über Krieg und Terror berichtete, auf den Entdecker Marco Polo. Denn es geht ihm darum, „die Welt von heute durch die Linse seiner ‚Beschreibung der Welt‘ zu betrachten“. Ausgangspunkt seiner achtmonatigen Reise mit Auto, Zug, Flugzeug und Bus aber auch zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf einem Kamel ist deshalb Venedig. Und weil unsere Welt mit Dschihad, Fremdenfeindlichkeit und Brexit aus den Fugen geraten ist, wünscht sich Montesquiou, die Idee der Seidenstraße…
Mit der Melodie „Ein Lied geht um die Welt“ wurde der kleinwüchsige Tenor Joseph Schmidt endgültig zum Liebling der Deutschen. Und doch war seiner Karriere ein baldiges Ende beschieden, geriet der Sänger in Vergessenheit. Denn Joseph Schmidt war Jude. Der Mann, der noch 1937 in der Carnegie Hall aufgetreten war, dessen Stimme Millionen rührte, war in Nazideutschland unerwünscht. Keine Gegenwart ohne Vergangenheit Heimatlos wie so viele andere irrte er durch Europa und hoffte auf Asyl in der Schweiz. Aber auch bei den Eidgenossen war der jüdische Emigrant unerwünscht. Schon schwer krank wurde er ins Internierungslager Girenbad überwiesen, wo er an einer Herzschwäche starb. Lukas Hartmann holt den vergessenen Tenor mit seinem Roman „Der Sänger“ ins Rampenlicht – zu einer Zeit, in der wieder einmal über die Beschränkung der Flüchtlingszahlen diskutiert wird und über die Opfer, die der Bevölkerung angesichts der Menge der Immigranten aufgebürdet werden. Der Schweizer Autor, der in seinen Romanen immer wieder zeigt, dass die Gegenwart ohne Vergangenheit nicht denkbar ist, geht dabei mit seinem Heimatland, das sich in der Rückschau selbstgerecht als Bastion der Demokratie feiert, ins Gericht. Nationaler Egoismus verstellte den Blick auf das Elend der Emigranten, man verschloss die Augen vor der Tragödie vor der…
„Vom Aldi-Kind zur Öko-Landwirtin“ schrieb die „Süddeutsche Zeitung“ zum Buch von Anja Hradetzky „Wie ich als Cowgirl die Welt bereiste und ohne Land und Geld zur Bio-Bäuerin wurde“. Gut 300 Seiten braucht die junge Frau, um dahin zu kommen, wo sie wohl immer schon hin wollte: „Hier im Odertal war nun mein Kanada, auch wenn die Weite nicht ganz so weit, die Kälte nicht ganz so kalt war und natürlich die Pferde fehlten.“ Von der Großstadt- zur Landliebe Sie war nicht auf dem allernächsten Weg vom heimischen Dorf im Erzgebirge zu ihrer neuen Heimat gekommen. Es hatte vieler Umwege und Reisen bedurft, bis Anja wusste, wohin und was sie wollte. Sie studiert, lernt die Parallelwelt in Berlin kennen und eine Großstadtliebe, macht Praktika auf dem Land und kommt dabei ihrem Ziel, mit Tieren zu leben, ebenso näher wie dem jungen Polen Janusz, der ihre Landliebe teilt. Doch Anja will mehr und bewirbt sich für eine Working Ranch in Kanada – im Winter, weil sie die Jahreszeit mag. Auf der Ranch lernt sie einiges für ihr zukünftiges Leben, vor allem, wie man Tiere diszipliniert, ohne sie zu quälen: „Hier schrie keiner, es gab keine roten Köpfe, es war wunderschön.“ Ihrem Traum…
Wer lieber unter die Leute geht, sollte die Finger von diesem Roman von Joel Dicker lassen. Sein neues Buch „Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ entwickelt auf 667 Seiten einen Sog, der dazu führt, dass man am liebsten gar nicht mehr aus dem Haus gehen möchte, um das Buch nicht aus der Hand legen zu müssen. Dabei ist der hochspannende Roman nur mehr halb so dick wie die Erstfassung. Aber eben immer noch dick genug. Ein Mordfall vor 20 Jahren Und natürlich ist der Titel gebenden Stephanie Mailer kein langes Leben beschieden. Die Journalistin, die in New York bei einem Literaturblatt gearbeitet hatte und nach ihrer Kündigung in der Lokalzeitung des malerischen Örtchens Orphea eine Anstellung fand, hat wohl bei den Recherchen für ein geplantes Buch zu tief geschürft. Es ging ihr um einen Mordfall von vor 20 Jahren, dem nicht nur die Familie des damaligen Bürgermeisters sondern auch eine Joggerin zum Opfer fielen. Die mit dem Fall betrauten Polizisten Jesse Rosenbaum und Derek Scott scheinen bei der Aufklärung erfolgreich gewesen zu sein. Der des Mordes Verdächtige kommt bei der Flucht vor der Polizei ums Leben. Doch Stephanie Mailer findet Hinweise darauf, dass er unschuldig war. Das kostet sie das Leben…
Mit den Osterferien hat die Zeit begonnen, in der vor allem Familien unterwegs sind. Wenn Eltern und Kinder gemeinsam verreisen, müssen unterschiedliche Wünsche berücksichtigt werden. Vor allem soll es nicht langweilig werden im Urlaub. Wie wäre es da mit einem Bilderbuch, das in drei Sprachen die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen erzählt, die dem Wolf ein Schnippchen schlagen? Klassiker mit einfacher Sprachstruktur Der Klassiker ist einfach strukturiert, auch für kleine Kinder schon verständlich. Einfach ist auch die Sprache. Das hilft beim Verständnis auch der beiden Fremdsprachen, und es macht Spaß, abwechselnd den deutschen und den englischen oder den spanischen Text zu lesen. Allerdings sollte der (Vor)Lesende zumindest Grundlagen der Fremdsprache haben und ohne Lautsprache die Texte lesen können. Liebevoll ins Szene gesetzt Die in Augsburg geborene Illustratorin Regina Mayr hat das klassische Tiermärchen, das David Fermer neu erzählt hat, liebevoll in Szene gesetzt. So können auch kleine Kinder die Geschichte verstehen – dann halt auf Deutsch. Der Verlag Amiguitos hat das Buch in verschiedenen Varianten herausgegeben. Die dritte Sprache kann auch Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Polnisch oder Russisch sein. Info: David Fermer /Regina Mayr. Die Geschichte von den drei kleinen Schweinchen, Amiguitos, 52 S., 18 Euro
Es ist ein altes Haus, dem der baldige Abbruch droht. Vor 120 Jahren wurde das Haus in der Utrechter Straße im Berliner Wedding gebaut. In dieser Zeit hat es viel erlebt, und davon berichtet es gleich zu Anfang des neuen Romans von Regina Scheer „Gott wohnt im Wedding“. Auch in mehreren Zwischenkapiteln kommt das Haus zu Wort, liefert sozusagen eine Gesamtschau der Schicksale, deren verästelte Lebenslinien Regina Scheer nachzeichnet. Das Haus verbindet die alten und die neuen Schicksale Da ist Leo Lehmann, der mit seiner Enkelin Nira aus Israel gekommen ist, um das Erbe seiner Familie zu regeln, und der zufällig das Haus wieder entdeckt, das schicksalhaft mit seinem Überleben verbunden war. Und da ist die alte Gertrud, die im Haus geboren wurde und die dem jungen Leo und seinem Freund Manfred beim Untertauchen half – und aufflog. Mit Manfred starb die Liebe ihres Lebens. Gertrud soll ausziehen wie alle anderen im Haus, das ein Investor gekauft hat und „entmieten“ will. Hätte sie nicht Laila, die kluge und hilfsbereite Sintiza, oder Stephan, den Studenten aus der WG, wäre sie ganz vereinsamt. Aber das Haus verbindet die alten und die neuen Schicksale, die Juden und die Sintis, die Jungen und die Alten….
Verblüffend, wie Michel Houellebecq immer wieder aktuelle Entwicklungen vorwegnimmt. Auch für seinen neuen Roman Serotonin werden ihm fast prophetische Fähigkeiten attestiert, weil er im zweiten Teil so etwas wie die Bewegung der Gelbwesten skizziert habe. Doch dem „Miesepeter der französischen Literatur“ geht es eigentlich um etwas ganz anderes, um das Gefühl einer seelischen Verarmung, um totale Entfremdung und gesellschaftliche Kälte. „Ist so das Leben der Menschen?“ fragt sein Protagonist Florent-Claude Labrouste einmal, als er die Vereinsamung seiner großen Liebe beobachtet. Gescheitert und desillusioniert Dieser Mittvierziger, den sein Schöpfer als alten Mann bezeichnet, ist auf der ganzen Linie gescheitert – desillusioniert in der Liebe wie im Beruf als landwirtschaftlicher Berater, ein Misanthrop am Rande der Selbstzerstörung. Von seiner letzten Partnerin, der Japanerin Yuzu, für die er nur Verachtung kennt, hat er sich getrennt, nachdem er auf ihrem Computer ein Video gefunden hat, das sie beim Sex mit Hunden zeigt. Die Ausgangsbasis liefert Houellebecq reichlich Munition für die üblichen Frauen verachtenden Tiraden – geile Schnitten treffen da auf welke Fleischsäcke – , sexuellen Abschweifungen und ausführliches EU-Bashing. All das kennen Houellebecq-Leser zur Genüge – und es wäre auch nicht der Rede wert, wenn es nicht einen zweiten Teil gäbe. Rückkehr in die Vergangenheit…
„So chinesisch hatte ich mir China nicht vorgestellt,“ schreibt Stephan Orth, nachdem er bei einer Familie eingeladen war – zum Hund-Essen. Der Journalist ist mal wieder als Couchsurfer unterwegs gewesen. Das kann er inzwischen richtig gut, weil er weiß, wo er interessante Leute trifft und wo es wirklich was zu erzählen gibt. Denn Orth reist nicht im Selfie-Modus, dafür ist er viel zu sehr Journalist. Er reist mit offenen Augen und Ohren und einem Gespür für Willkür und Ungerechtigkeit. Zwangsbeglückung in Kashgar In Kashgar etwa erfährt er von einer Perversion seiner Art zu reisen: „Staatlich angeordnet kommen Propagandisten und potenzielle Denunzianten ins eigene Haus,“ notiert Stephan Orth über die Zwangsbeglückung der Uiguren durch den Hausbesuch von Han-Chinesen, und stellt ironisch fest: „Da haben die Leute bestimmt eine Superzeit zusammen.“ Die lückenlose Überwachung scheint dem Globetrotter nicht nur in der Heimat der Uiguren beängstigend. Auch sonst erfährt er immer wieder von Einschränkungen und Einschüchterungen. Pressefreiheit existiert nicht, da liegt China auf Platz 176 von 180 Ländern, noch 30 Plätze hinter Russland. Hyper-moderne Städte, abgelegene Dörfer Doch die Diktatur kann auch Erfolge vorweisen: China ist hyper-modern, manche Städte sehen aus wie in einem Science-Fiction-Film. Für Altes dagegen hat man wenig Sinn, es…