Man spürt von der ersten Zeile an, dass dieser Autor weiß, worüber er schreibt. Paolo Cognetti, in Mailand geboren, verbringt die Sommermonate immer in seiner Hütte im Aostatal, und er liebt New York. Doch im Roman „Acht Berge“ geht es ihm nicht nur um die Bergwelt, sondern vor allem auch darum, was die Berge mit den Menschen machen. Die Landschaft prägt den Charakter der handelnden Figuren, und Cognettis Naturbeschreibungen sagen auch viel aus über ihre Persönlichkeit. Die Berge werden zum Spiegel ihrer Gefühle. Zwei Freunde und ihre gegensätzliches Leben „Acht Berge“ erzählt von der Männerfreundschaft zwischen dem Mailänder Pietro und dem Bergbauernbuben Bruno. Während Pietro studiert und die Welt bereist, während er in Nepal nach den Bergen seiner Heimat sucht, bleibt Bruno da, wo er geboren und aufgewachsen ist. Und während Pietro sich auf keine feste Beziehung einlassen will, versucht Bruno mit Pietros Ex-Freundin Lara eine Existenz in den Bergen aufzubauen, nachhaltig und in der Tradition seiner Väter. Die Träume scheitern an der Realität Beide hängen ihren Träumen nach, wohl wissend, dass sie an der Realität scheitern müssen. So wie Pietros Vater, der sich einen anderen Sohn erträumt hatte, einen wie Bruno. Und der Pietro eine Ruine in den Bergen…
Eines gleich vorneweg. Für Kreuzfahrtfans ist dieses Buch eher nicht geeignet. Denn was der Gewinner des Deutschen Buchpreises 2016, Bodo Kirchhoff, unter dem Titel „Betreff: Einladung zu einer Kreuzfahrt“ auf 130 Seiten anspricht, könnte ihre Begeisterung für diese Art des Reisens schmälern. Denn Kirchhoff begnügt sich nicht damit, mit manchmal nervender Selbstgefälligkeit die eigenen Befindlichkeiten angesichts der Zumutungen im kleingedruckten Anhang der Einladung zu analysieren. Er schreckt auch nicht davor zurück, die Probleme anzusprechen, mit denen nachdenkliche Kreuzfahrer sich konfrontiert sehen: Die Bagatelllöhne, mit denen die Kreuzfahrtreedereien ihre Bediensteten abspeisen, die Quasi-Steuerfreiheit unter Billig-Flaggen, die Massenveranstaltungen an Bord und an Land und womöglich ein Todesfall auf dem Schiff, die obligatorische Rettung von Flüchtlingen… Der Schriftsteller als Edutainer Fast schon genüsslich geht der Autor mit den Unterhaltungsangeboten ins Gericht, neben denen sich die Lesung eines Schriftstellers behaupten müsste. Und dass er als „Edutainer“ fungieren soll, also gleichzeitig als Unterhalter wie als Erzieher, erscheint ihm ebenso absurd wie mögliche Bauchplantschwettbewerbe. Die Antwort kann also nur ein „Nein“ sein, so sehr den (fiktiven) Autor die Vollmond-Nächte auf dem Meer gereizt hätten. Denn wozu noch ein Schiff besteigen, das im Kreis fährt, wenn unser Leben an sich schon eine sinnlose Reise ist? Die Absurditäten…
Francesca Segal ist die Tochter von Erich Segal, der mit „Love Story“ einen Mega-Seller geschrieben hatte. Die 37-Jährige scheint das Schreib-Talent ihres Vaters geerbt zu haben, nicht aber dessen Hang zum Melodram. Schon ihr erster Roman „Die Arglosen“ zeigt, dass es der Journalistin, die in Oxford und Harvard studiert hat, die Komplexität der menschlichen Natur angetan hat. Von Liebesdreieck zum Quartett Ging es da um eine Art Liebesdreieck, bei dem sich der Protagonist zwischen zwei gegensätzlichen Frauen hin- und hergerissen sieht, arrangiert Segal in ihrem neuen Roman „Ein sonderbares Alter“ ein Quartett. Auf der einen Seite zwei Erwachsene, die verwitwete Julia und den geschiedenen James, die den Rest ihres Lebens gemeinsam genießen wollen, auf der anderen Seite ihre Kinder Gwen und Nathan, beide an der Schwelle zum Erwachsenen-Alter und entsprechend renitent. Es fängt schon gut an: „Die Teenager würden wieder alles kaputt machen.“ So lautet der erste Satz – und so geht es weiter, bis Julia und James die eigene Liebe infrage stellen. Pubertät und Patchwork befeuern sich gegenseitig, bis es zur Explosion kommt. Jenseits aller rosigen Patchwork-Klischees Um das ungleiche Quartett herum hat Segal weiteres Personal gruppiert, das sie ebenso sorgfältig skizziert wie ihre Hauptfiguren: Julias ungleiche Schwiegereltern, James‘ flippige…
„Während meines neunjährigen Eingewecktseins an einem Augsburger Realgymnasium gelang es mir nicht, meine Lehrer wesentlich zu fördern.“ Was Bert Brecht über seine Schulzeit geschrieben hat, hätte auch William James Sidis unterschreiben können. Der „Held“ in Klaus Cäsar Zehrers Debütroman „Das Genie“ hat die Schulzeit regelrecht durchlitten. Nicht, weil er über- sondern weil er unterfordert war. Denn William James war von seinen Eltern, dem ehrgeizigen und ebenfalls genialen Psychologen Boris Sidis und dessen zur Medizinerin promovierten Ehefrau regelrecht zu einem Genie herangezüchtet worden. Dem Überflieger wurde das Wissen der Welt eingetrichtert Schon im Grundschulalter beherrschte Billy mehrere Sprachen und ließ in Mathematik die Lehrer alt aussehen. Doch der Überflieger, dem schon als Baby das Wissen der Welt eingetrichtert wurde, stößt mit seiner geschwätzigen Besserwisserei seine Mitmenschen vor den Kopf. Rücksichtnahme auf andere hat er nie gelernt, Liebe nie erfahren. Billy ist kreuzunglücklich. Lieber wäre er ein ganz normaler Mensch statt ein Genie: „All diese Leute, dachte William, waren normal, ohne dass es sie Anstrengung kostete. Die Normalität fiel ihnen so leicht wie ihre Muttersprache. Seine Muttersprache war die Außergewöhnlichkeit. Das war der Fluch seines Lebens: Es gab niemanden, mit dem er in seiner Sprache reden konnte.“ Das Genie rebelliert gegen die…
Vieles kennen wir aus der täglichen Zeitungslektüre oder den Fernsehnachrichten: Menschen auf der Flucht, Religionskriege, Tod und Zerstörung. Nichts Neues unter der Sonne, dann all das gab es auch früher schon, vor nahezu 1000 Jahren. Stefan Hertmans holt diese Zeit in die Gegenwart und macht daraus einen beklemmenden Roman. Eine Zeit des Aberglaubens und des Umbruchs „Die Fremde“ spielt im dunkelsten Mittelalter, damals, als Papst Urban II. zum Kreuzzug gegen die Ungläubigen aufrief. Zu einer Zeit, als die Juden für alles Übel auf der Welt verantwortlich gemacht wurden und Pogrome auch Kleinkinder nicht verschonten. Es war eine Zeit der Aberglaubens und des Umbruchs. „Es sind schwierige Zeiten. Der einst von Karl dem Großen gestiftete religiöse Friede zerbricht, die politische Lage ist unsicher. Feudale Kriegsherren reißen die Macht an sich… Man hört von Missständen, die Gesetze werden immer willkürlicher angewendet. Nachdem Juden und Christen mehrere Jahrhunderte lang recht einvernehmlich miteinander gelebt haben, hört man nun immer öfter von brutalen Überfällen auf jüdische Gemeinden. Außerdem sind in den letzten Monaten viele Juden aus Spanien in den Süden der Provence geflüchtet, vor allem nach Narbonne. Die kleine Stadt wird von Heimatlosen überschwemmt, die auf der Suche nach dem Glück sind oder einfach nur…