Mark Billingham weiß, wie er seine Leser drankriegt. Am Anfang ein irritierendes Gespräch mit einem Häftling, das mit dem Resümée endet, dass der Gesprächspartner doch nur wissen wollte, wie es ist, jemanden zu töten. Die Aufklärung lässt über 400 Seiten auf sich warten. Und natürlich gibt es einen Mord. Ausgerechnet an einer jungen Frau, die über weite Strecken noch das am wenigsten unsympathische Mitglied des Therapiekreises ist. Der Mörder könnte jeder aus Tony da Silvas Kreis sein – der Therapeut eingeschlossen. Es sind Ex-Süchtige, Vereinsamte, Enttäuschte, die er einmal die Woche in seiner Wohnung versammelt, um ihnen eine Zukunft vorzugaukeln. In Zeitsprüngen zwischen Damals und Jetzt entwickelt Billingham das Psychogramm eines Mordes, der nur einen Täter hat, aber viele Schuldige und an dessen Aufklärung die Ermittlerin scheitern muss. Wechselbad der Gefühle Billingham zieht die Leser buchstäblich in den Therapiekreis hinein, lässt sie Teil haben an der Selbstdemontage des Therapeuten, der als Familienmensch ebenso scheitert wie als neutraler Beobachter. Lässt sie mit ansehen, wie die Gruppenmitglieder untereinander agieren und reagieren, wie sie sich seelisch entblößen und ihre Schwächen zur Diskussion stellen – und wie sie doch immer wieder fast verzweifelt versuchen, den anderen zu gefallen, wenigstens diese Beziehung aufrecht zu erhalten,…
Mit seinem Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ hat sich der studierte Jurist Joel Dicker in den Schweizer Literaturhimmel katapultiert. Das Buch wurde vielfach ausgezeichnet und stand auch bei uns wochenlang auf der Bestesellerliste. Jetzt hat Dicker einen neuen Roman vorgelegt, der nicht weniger spannend und verschachtelt ist wie sein Vorgänger: „Die Geschichte der Baltimores“. Und wieder ist es der Schriftsteller Marcus Goldmann, der diese amerikanische Familiengeschichte erzählt. In „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“ war Goldmann entscheidend an der Aufklärung eines Kriminalfalles beteiligt – und hat ein Buch darüber geschrieben. Nichts ist, wie es scheint Diesmal taucht er ein in die Geschichte seiner Kindheit und Jugend. Goldmann erzählt von seinen Eltern, den Armen aus Montclair, und von den bewunderten Verwandten, den Reichen aus Baltimore, bei denen er regelmäßig die Schulferien verbringt. Mit den Cousins Hillel und Woody verbindet ihn eine enge Freundschaft, auch wenn er manchmal neidisch ist auf die beiden und ihre so perfekt wirkende Einheit. Doch die Fassade bröckelt, als Alexandra auftaucht und alle drei Jungs sich in das Mädchen verlieben. Es ist Marcus, der Alexandra für sich gewinnt – und damit eine Katastrophe auslöst. Die hat sich schon lange vorher abgezeichnet. Tatsächlich ist…
„Wer bin ich und wenn ja, wie viele?“ Der Titel von Richard David Prechts Philosophie-Buch könnte auch über Joao Tordos Roman stehen. „Stockmanns Melodie“ beschäftigt sich mit der Frage der Individualität, der Einzigartigkeit. Schon ganz am Anfang träumt der Kontrabassist Hugo „noch ohne darum zu wissen, von seinem Ebenbild, einem Mann, der er noch nicht kannte und der doch in allem mit ihm identisch und anders war als er selber“. Hugo ist eine gescheiterte Existenz, sein Leben ein Labyrinth – bis er in einem Konzert den Jazzpianisten Luis Stockmann hört und in einer Melodie seine eigene unfertige Komposition wieder zu erkennen glaubt. Das Unerhörte wirft Hugo vollends aus der Bahn. Wie besessen sucht er nach Verbindungen und glaubt schließlich in Stockmann den bei seiner Geburt verstorbenen Zwillingsbruder zu erkennen. Aus der Verwirrung kann ihn nur die Ermordung des vermeintlichen Bruders befreien – oder der Selbstmord. Im zweiten Teil des Romans nämlich meldet sich Luis Stockmann ganz munter zu Wort und erzählt das Gganze aus seiner Sicht. Auch er, im Gegensatz zum eher schüchternen Hugo, ein erfolgsverwöhnter Künstler, wird durch die Begegnung aus der Bahn geworfen. Was ihn bewogen hat, den Spuren des Phantoms zu folgen, erzählt er einem befreundeten Schriftsteller…