Ein Anthropologe sitzt irgendwo im Keller des Unternehmens, für das er arbeitet und schreibt an einem Narrativ für einen Großkunden, einer Art Blaupause für ein profitables Geschäftsmodell, das er zwischendurch am liebsten sabotieren würde. „Nennt mich U. – Call me you“ sagt der Erzähler gleich zu Anfang, „nennt mich du“. Damit beginnt der Autor ein intellektuelles Spiel, in dem er dem Leser immer wieder neue Narrative vorsetzt, ihn über neue Strukturen grübeln lässt und die Grenze zwischen ihm und dem Autor oder auch dem Erzähler verwischt. Satin Island hat kein Plot und keine Charaktere John McCarthy, der nicht nur Schriftsteller ist, sondern auch Künstler und Philosoph und als solcher bestens vertraut mit dem Strukturalisten Claude Lévi-Strauß, verweigert in „Satin Island“ die klassischen Zutaten eines Romans. Das Buch hat keine zentrale Erzählung, kein Plot, auch keine Figuren im üblichen Sinn. U beschäftigt sich vor allem damit, Dossiers anzulegen über Abstürze von Fallschirmspringern und Haiattacken, über Spammails und über die Bügelfalten von Jeans. Doch der „große Bericht“, der alles umfassen soll, scheint ihm zu entgleiten. U’s Chef Peyman kommt nur als Auftraggeber des „großen Berichts“ ins Spiel, U’s Freund Petr ist als Krebskranker schon nicht mehr von dieser Welt, und Madison, mit…
Bruno, Chef de Police in der Kleinstadt Saint Denis, ist so manchem Krimi-Freund schon ans Herz gewachsen. Löst der Genussmensch im schönen Périgord doch mittlerweile auch schon seinen achten Fall. Und das auf gewohnt nonchalante Art mit viel französischem Savoir Vivre. Für Bruno heißt „Leben wie Gott in Frankreich“ vor allem gut essen und trinken, aber auch die Liebe spielt eine wichtige Rolle. Schließlich ist der Chef de Police ein Mann, der die schönen Seiten des Lebens zu schätzen weiß. Bei seinem achten Fall unter dem Titel „Eskapaden“ wäre er beinahe über seine eigene Schwäche gestolpert. Doch Bruno ist zu sehr Polizist, um sich an der Nase herumführen zu lassen. Soweit so gut. Der achte Fall entpuppt sich als ziemlich kompliziert, führt weit in die Vergangenheit zurück und bis hinauf in die hohe Politik. Gorbatschow spielt eine Rolle, Jelzin, Mitterand. Vielleicht hat der Schotte Martin Walker, der auch mal politischer Journalist war und der mit seinen Krimis das Périgord auf die literarische Landkarte gesetzt hat, da etwas zu hoch gegriffen. Der Fall nimmt zwar nach einigen Längen Fahrt auf, aber zwischendurch scheinen dem Autor die Fäden, die er knüpfen will, zu entgleiten. Da ist doch so manches unlogisch und arg…
„Woher etwas kam, war ein wichtiger Teil von Juan Diegos Schriftstellerleben… ‚Das echte Leben ist zu schludrig, um als Modell für gute Fiktion zu taugen‘, hatte Juan Diego gesagt. ‚Gute Romanfiguren sind charakterlich ausgereifter als die meisten Menschen, die wir in unserem Leben je kennenlernen. Figuren in Romanen sind nachvollziehbarer, stimmiger, vorhersehbarer. Romane, sofern sie etwas taugen, sind nicht chaotisch, das wirkliche Leben dagegen schon. In einem guten Roman kommt alles für die Erzählung Wichtige von etwas oder von irgendwoher.’“ In John Irvings neuen Roman „Straße der Wunder“ kommt alles aus der Kindheit im mexikanischen Oaxaca, wo der wissbegierige Junge mit seiner hellseherisch begabten Schwester Lupe auf einer Müllkippe aufwächst – allerdings unter dem Schutz des Müllkippenchefs, der möglicherweise auch Juan Diegos Vater ist. Die Mutter der beiden, eine Prostituierte, die im Jesuitenkloster putzt, stirbt beim Versuch, eine Madonnenstatue zu entstauben, die Schwester beim Füttern eines Löwen. Und Juan Diego wird zum hinkenden Krüppel, weil der Müllkippenchef ihn beinahe überfährt. Der alte Schriftsteller träumt von seiner Kindheit Doch das alles erfährt der Leser erst nach langen Erzählspiralen, die zwischen Kindheit und Alter mäandrieren, weil sich der mittlerweile als Schriftsteller erfolgreiche Juan Diego auf seiner Reise auf die Philippinen in die Kindheit…