Ihr Roman „Zeit der Unschuld“ aus dem Jahr 1920 wurde mit dem Pulitzer Preis ausgezeichnet, dennoch stand Edith Wharton immer im Schatten von Henry James. Zu Unrecht, wie die Neu-Übersetzung ihres Meisterwerks durch Andrea Ott zeigt. Wharton stellt einen jungen New Yorker der Oberklasse in den Mittelpunkt: Newland Archer steht kurz vor der Heirat mit der jungen, hübschen und ach so unschuldigen May Welland, eine von der einflussreichen High Society der damaligen Kleinstadt goutierte Verbindung. Doch dann begegnet er Mays unangepasster Cousine Ellen. Die Gräfin Olenska hat ihren ungarischen Mann verlassen und ist zu ihrer Familie zurückgekehrt, ein Skandal. Denn Frauen haben nach der vorherrschenden Meinung jener Zeit bei ihrem Mann auszuharren – in guten wie in schlechten Zeiten. Der junge Anwalt Newland ist fasziniert von der gereiften Frau, die als Kind seine Spielgenossin war. Ist es ihre dunkle Schönheit, die ihn anzieht, oder ihre obskure Vergangenheit? Die Begegnung mit der Gräfin Olenska und die unbarmherzige Kritik der feinen Gesellschaft an ihr sensibilisieren den jungen Mann für die Doppelmoral, in der es sich vor allem die Männer bequem gemacht haben. Er spürt das Korsett der Konventionen, das ihm die Luft zum Atmen zu nehmen droht. Spürt, wie die erstickende Enge…
Tamaso ist 16 und freut sich auf den Schulabschluss, den er mit seiner Familie feiern will, als er vom coronischen Geheimdienst abgeholt wird. Mit 19 Gleichaltrigen landet er in einem Ausbildungscamp, wo die Jugendlichen dafür gedrillt werden, in Flore, der gefährlichsten Diktatur der Welt zu spionieren. Tamaso landet als „Mechaniker“ im Haus des mächtigen Marschalls, wo Puppenspieler gerade ein altes florianisches Märchen proben. Dabei geht es um einen skrupellosen Alchemisten, der nach der Macht im Staat greift. Dazu hat er einen Klon des jungen Königs entwickelt und den echten König in eine mechanische Puppe eingesperrt. Nur die fünf Freunde des verwunschenen Königs fallen nicht auf den Tausch rein und wagen den Kampf gegen den allmächtigen Alchemisten. Während Tamaso staunend die Inszenierung verfolgt, wird er Zeuge, wie im Keller des Hauses Gegner des Marschalls gefoltert und ermordet werden. Die Wirklichkeit in Flore scheint sich immer mehr dem Märchen anzunähern. Wie die fünf Freunde des jungen Königs müssen auch Tomaso und vier Freunde, darunter die Zwillinge Silvan und Kester, gegen einen übermächtigen Feind kämpfen. Wie der junge König, der im Klon sein Spiegelbild erkennt, sind die Zwillingsbrüder kaum voneinander zu unterscheiden. Dabei ahnen die Protagonisten nicht einmal, wie sehr sie den Marionetten…
Er ist ein Schatzsucher mit der Kamera. Seine Schätze findet der in Xanten geborene Sven Fennema überall in Europa, wo Menschen gelebt haben und gegangen sind. Fennema ist auf der Suche nach verlassenen Orten, nach Stätten der Vergänglichkeit, Zeugen einer verlorenen Zeit. Der schwergewichtige und luxuriös aufgemachte Bildband „Nostalgia“ versammelt die Fotografien solcher „lost places“ in Italien. Es sind Bilder, die Geschichten erzählen, wie die Italienkennerin und Autorin Petra Reski gleich zu Anfang schreibt, suggestive Bilder, die den Betrachter hineinziehen in verfallende Paläste, in verrottende Pracht und verwaiste Krankensäle. Bilder, die ihm die Vergänglichkeit vor Augen führen auch anhand industrieller Hinterlassenschaften. Das ganze Buch ist menschenleere Bühne und gerade deshalb von einem fast magischen Zauber. Petra Reskis Geschichten und Zitate italienischer Dichter tragen das Ihre zu diesem Zauber bei, füllen sie doch die entleerten Bilder mit gespenstischem Leben, wecken Träume und Assoziationen. Man könnte sich verlieren in diesen Dokumenten einer verlorenen Zeit, blättert staunend durch die Seiten und wundert sich, wie schön Verfall sein kann. Info: Sven Fennema, Petra Reski: Nostalgia – Orte der verlorenen Zeit, Frederking & Thaler, 320 S., 98 Euro, http://www.frederking-thaler.de/titel-16186-nostalgia_157.html
Die französischen Kritiker kürten Drago Jancars Roman „Die Nacht, als ich sie sah“ zum besten fremdsprachigen Roman des Jahres, auf der ORF-Bestenliste steht das Buch des slowenischen Autors, das ins Jugoslawien des Jahres 1944 zurückführt und auf einer wahren Begebenheit beruht, im Dezember auf Platz 1. Zu Recht: Jancar hat einen raffiniert konstruierten Roman um das Schicksal der jungen, kapriziösen Veronika geschrieben, in dem es um Liebe und Verrat geht, um die Lust am Leben in Zeiten des Krieges und um die seelische Verrohung der Kämpfer auf allen Seiten. In einer Winternacht holt eine Gruppe von Tito-Partisanen die junge Frau und ihren Mann, der sowohl zu den Deutschen wie auch zu den Partisanen Kontakt hält, aus ihrer Burg in Oberkrain. Seither verlieren sich die Spuren der beiden, aber es gibt Gerüchte zu ihrem Verschwinden. Aus den Erinnerungen von fünf Personen, die Veronika auf unterschiedliche Weise nahe waren, setzt Jancar das Bild einer lebenshungrigen aber auch naiven Frau zusammen. Die Reihenfolge dieser sehr persönlichen Sichtweisen bringt immer neue Facetten und „Wahrheiten“ ans Tageslicht und führt schließlich zur Aufklärung des Falles. Am wenigsten kann Major Stevo dazu beitragen. Der Kavallerieoffizier des serbischen Königs, um dessentwillen Veronika für einige Zeit ihren Ehemann verließ,…